Title: Ferienreise nach Linz, Salzburg, Kloster Göttweig und Wien
Author: Gustav Friedrich Klemm
Release date: November 8, 2025 [eBook #77193]
Language: German
Original publication: Dresden: Arnoldische Buchhandlung, 1853
Credits: Richard Illner and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images made available by The Austrian National Library)
von
D. Gustav Klemm,
Königl. Sächs. Hofrath und Oberbibliothekar.
Nebst einer Steindrucktafel.
Dresden,
Arnoldische Buchhandlung
(Verlags-Conto).
1853.
Lith u. Druck v. J. Williard, Dresden.
Oesterreich ist im Norden von Deutschland ziemlich unbekannt, und es sind über seine Zustände die seltsamsten Ansichten im Gange. Dennoch aber ist Oesterreich eines der herrlichsten und gesegnetsten Lande von Europa, das eine überaus wichtige Rolle in der Culturgeschichte von Deutschland spielt. Schon ein flüchtiger Blick auf die Charte zeigt uns Oesterreichs wichtige Stellung. Die Alpen, die Karpathen, Erz- und Riesengebirge bilden die geologischen Grundfesten des Reiches. Elbe, Oder und Weichsel entspringen dem österreichischen Boden, und der größte Strom Europas, die Donau, strömt zum großen Theile durch österreichisches Gebiet, während das adriatische Meer seine Ausgangswellen an österreichische Küsten spült.
Nicht minder ist Oesterreich der Heerd einer uralten Civilisation. Bereits 15 Jahre vor Christi Geburt eroberten die Römer die deutschösterreichischen Lande und machten dieselben zur Provinz. Es entstanden an der Donau eine v Reihe von Befestigungen zum Schutze gegen die nördlichen Völker und im Inneren des Landes blühende Städte, in denen sich römische Bildung und Gesittung entfaltete. Frühzeitig kam auch das Christenthum in diese Lande. Durch die Völkerwanderung zerfiel diese Cultur in Trümmer, auf denen jedoch bald neues Leben emporwuchs, seitdem Karl der Große die Gränzen jenes Reiches bis an die Raab erweitert. Die Stifter Salzburg, Kremsmünster, Mölk, Göttweig u. s. w., dann der Hof der Babenberger bildeten sich zu Mittelpunkten von Wissenschaft, Kunst und jeglicher Cultur aus, die uns schon im Nibelungenliede geschildert wird. Hier lebten Ulrich von Lichtenstein, der begeisterte Sänger des Frauendienstes, und Herr Conrad Flecke.
Nach dem Aussterben der Babenberger und langwierigem Ringen des deutschen mit dem slavischen und ungarischen Wesen siegte das erstere. Das Erzhaus Habsburg beginnt hier den Mittelpunkt seiner glanzvollen Thätigkeit zu begründen. Es hoben sich die Städte, in Prag und Wien wurden die ersten deutschen Universitäten errichtet, zahlreiche Benedictinerstifte sind Pflanzstätten der Wissenschaft, die durch die Zeiten von Kaiser Maximilian, Ferdinand, Leopold I. und Karl VI. fortwährend treu gepflegt werden. Die zahlreichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Wien, Prag, Grätz, so wie in jeder Provinzialhauptstadt, die vielfachen Bildungsanstalten, vi wie das polytechnische Institut in Wien, unter den deutschen das älteste, die gelehrten Gesellschaften u. s. w. zeugen von dem regen geistigen Leben, von dem uns nördlichen Nachbarn freilich leider nur zu selten Mittheilung gemacht wird.
Die politische Bedeutung Oesterreichs zeigt ein Blick auf die Geschichte Europas. Oesterreich ist das Gränzland gegen die unruhigen Ungarn. Kaiser Otto II. setzte dorthin Leopold von Babenberg als Markgrafen, mit ganz besonderen Vorrechten und in sehr selbständiger, ja unabhängiger Stellung zum deutschen Reiche. Die Babenberger, wie das Erzhaus Habsburg, haben stets hier im Osten das deutsche Wesen gegen Slaven, Avaren, Ungarn und Türken beschirmt und deutsche Cultur dorthin verbreitet. Sie waren es, die von den fränkischen, thüringischen und allen westlichen deutschen Ländern die verheerenden Schwärme der Ungarn, Tataren und Türken abhielten und die auch endlich den nicht minder verderblichen Verheerungen der Pest seit dem Ende des 17. Jahrhunderts undurchdringliche Schranken setzten, indem sie die Quarantaine einrichteten. Nicht minder lebhaften Antheil entwickelte aber auch Oesterreich in den blutigen Kämpfen mit den westlichen Nachbarn, namentlich seit Ludwig XIV. In neuester Zeit erwarb es sich den Dank des civilisirten Europa durch den siegreichen Kampf mit der Partei des Umsturzes.
viiDer Wunsch nun, das für die Culturgeschichte Europas so wichtige, durch seine schönen Gegenden und blühenden Städte, seine künstlerischen und wissenschaftlichen Schätze so interessante Land näher kennen zu lernen, bestimmte mich zu der Reise, deren Eindrücke die nachfolgenden Blätter möglichst unbefangen und schlicht darzustellen den Zweck haben.
Dresden, im December 1852.
D. Gustav Klemm.
Darüber ist, trotz der Verschiedenheit der Ansichten, alle Welt einig, daß eine Reise die beste Erholung von angestrengter Arbeit darbietet und daß der Mensch, nachdem er den Entschluß zu einer Reise gefaßt, auch schon leichteren Sinnes wird. Indem er bereits halb in der Zukunft lebt, übersieht er manche Unbehaglichkeiten des gegenwärtigen Augenblicks. Da werden Bücher und Landkarten beschaut, Freunde und Bekannte befragt, Kalender und Wetterglas berathen und an der Zukunft und der Ferne im Voraus genascht und gekostet.
In gleichem Falle war ich seit dem Ende des Monats Juli. Ich wollte die vierzehnte Versammlung der deutschen Land- und Forstwirthe, welche vom 1. September an in Salzburg stattfinden sollte, besuchen, von da aus aber Ausflüge in die österreichischen Lande unternehmen, welche so reiche Genüsse dem Freunde der Natur, der Kunst und der Alterthümer darbieten.
2Gelder, Pässe und die Reisebedürfnisse für mich und den jugendlichen Reisegefährten, meinen Sohn, waren in Ordnung, aber der Himmel, der bis dahin einige Wochen sein Sonnenlicht in schönster Fülle gespendet, begann einen anderen Charakter anzunehmen. Das war nun freilich nicht zu ändern. Der Neumond, am 26. August 1851, trat mit Nebel ein, der am Tage der Abreise, am 28sten, zum Regen sich gestalten wollte. Die Droschke brachte uns nach dem böhmischen Bahnhofe, wo ein Freund uns noch seine besten Wünsche für die Reise mitgab.
Frohen Muthes vernahmen wir endlich das Pfeifen der Locomotive, und fort ging’s in eiligem Fluge durch die Dörfer bis Pirna, wo das Quadersandsteingebirge seine Steilen an die Elbe dicht heranrückt. Bastei, Lilienstein, Königstein, die wohlbekannten Häusergruppen von Schandau, Schmilka und Herniskretscham wurden im Fluge begrüßt und die Gränze der Heimath überschritten.
Bevor man die Gränzstation Bodenbach erreicht, geht der Zug durch zwei in den Sandsteinfelsen getriebene Tunnel. Der sächsische Wagen hält endlich. Kaiserliche Gensdarmen in sauberem grünen Waffenrock mit rosenrothem Kragen verlangen höflich unsere Pässe und händigen uns dafür Empfangscheine ein; Kaiserliche Zollbeamte untersuchen rücksichtsvoll unsere Reisetaschen, 3 während das große Gepäck in den hier harrenden großen Packwagen umgeladen wird, da die Zolluntersuchung desselben erst in Prag Statt finden wird.
Wir haben Zeit, eine Erfrischung einzunehmen und das jenseit der Elbe auf steilem Felsen stattlich hingestellte Schloß Tetschen mit seinen reizenden Umgebungen zu betrachten. Hie und da erscheinen schon einzelne Statuen von Heiligen an Fußsteigen und Wegen, die in ihrer anspruchslosen Ausführung doch zum belebenden Schmuck der Gegend dienen.
Endlich erhielten wir unsere Pässe zurück und nahmen in den böhmischen Wagen unsere Plätze ein. Diese Wagen bilden große salonartige Räume, die auf jeder Seite eine Reihe Doppelsitze haben, zwischen denen ein freier Gang sich hinzieht. Man ist in diesen Wagen weniger beengt, kann zeitweilig stehen und hin- und hergehen.
Der Himmel gestaltete sich mittlerweile günstiger; die Sonne trat aus den Wolken und beleuchtete das schöne Elbthal; wir sahen die Ruine Schreckenstein, freundliche Kirchen mit Doppelthürmen über dem westlichen Eingange. Die Schaffner, in der grünen orange aufgeschlagenen Uniform der Kaiserlichen Post, riefen auf den Stationen die Namen der Orte und die Dauer des Aufenthalts aus. Der Verkehr der Aus- und Einsteigenden war sehr lebhaft, namentlich in Aussig, wo gewaltige 4 Holzvorräthe aufgestapelt waren und ein Dampfschiff am Ufer lag, von welchem aus Musik zu uns herauftönte.
Hinter Aussig wird das Thal erweitert, und die kegelförmigen Bildungen des Mittelgebirges gelangen zur Ansicht. In der Nähe erfreut das fleißig angebaute, blühende Land. Von nun an hörte man von den mittlerweile Eingetretenen böhmische Laute. Gesichtsbildung und Tracht waren jedoch von denen in den sächsischen Städten nicht wesentlich unterschieden. Das deutsche Element herrschte in der äußeren Erscheinung vor; blonde oder braune Haare und blaue Augen begegneten uns noch überall.
Bei Leitmeritz traten schmucke Kaiserliche Officiere an die Wagen, und ein Corporal mit sechs Mann ungarischer Infanterie wurde aufgenommen. Der Conducteur drang darauf, daß die Leute den Ladstock in den Lauf lassen und ihn überzeugen mußten, die Gewehre seien nicht geladen.
Wir hatten mittlerweile mit einem jungen Manne ein Gespräch angeknüpft, der sich uns als Techniker vorstellte, uns über die geognostischen und polytechnischen Verhältnisse des Landes Böhmen freundlichen Aufschluß gab und die Merkwürdigkeiten der Ortschaften uns nannte, an denen wir rastlos vorüberflogen. Endlich zeigte er uns die Thürme von Prag in der Ferne. Bald nach zwei Uhr fuhren wir in den überaus stattlichen Bahnhof von Prag ein. Unser neuerworbener Freund wies 5 uns in dem Gewirr des Bahnhofes zurecht. Die Kaiserlichen Beamten besorgten mit größter, schonender Artigkeit die Untersuchung des Gepäckes und der Pässe, wofür, wie überall in den Kaiserlich Königlichen Staaten, nicht ein Kreuzer zu bezahlen war.
Nachdem wir im Gasthofe zum Engel durch ein vorzügliches Rostbratel uns aufs Neue gestärkt, auch uns in einem sehr einfachen Bureau Plätze für den Stellwagen nach Bedürfniß gelöset, traten wir mit unserem Techniker die Wanderung durch die sämmtlichen Straßen der Königstadt des Böhmerlandes an. Die Paläste, die öffentlichen Gebäude, die Kirchen, die alterthümlichen gothischen Thürme, aus deren Ecken abermals Pyramiden emporsteigen, geben der Stadt ein sehr würdiges Ansehen. An dem Brückenthurm steht das von unserem Landsmanne Hähnel ausgeführte eherne Denkmal für Kaiser Karl IV., den Gründer der ältesten deutschen Universität. Wir schreiten dann, bereits vom Regen begleitet, über die lange, mit Statuen reich geschmückte Brücke und begeben uns auf die gewaltige zum Hradschin führende Treppe, nachdem wir die polytechnische Anstalt und den Judenmarkt flüchtig berührt. Der Hradschin gehört ohnstreitig zu den imposantesten Gebäuden von Deutschland, obschon die Domkirche allerdings nur ein großartiges Bruchstück ist. Nicht minder interessant ist der Hradschin durch die Aussichten, die er auf die Stadt darbietet. Der Freund geleitete 6 uns darauf nach der Stadt zurück, machte uns auf das Denkmal für Kaiser Ferdinand, die Kettenbrücke und die Kugelspuren von 1848 aufmerksam und verließ uns an unserem Gasthofe.
Der Regen hatte sich mittlerweile ganz behaglich eingerichtet. Allgemach wurden, allerdings erst lange nach der bestimmten Abfahrtstunde, die Stellwagen in Stand gesetzt, d. h. zunächst wurde das zahlreiche Gepäck auf den Decken derselben zusammengestellt und tüchtig verschnürt. Dann suchten wir Plätze in dem Cabriolet zu gewinnen, und endlich spannte man die Pferde vor. Das Fahrzeug, welchem wir unsere gesunden Gliedmaßen anvertraut hatten, gab Anlaß zu den ergötzlichsten Betrachtungen. Als Genealog menschlicher Kunst- und Gewerberzeugnisse hatte ich so viel sehr bald heraus, daß unser Stellwagen vor geraumer Zeit die Ehre gehabt haben mochte, im Gebrauche der Kaiserlichen Post zu dienen. Die Farbe seines Aeußeren war ohnstreitig gelb; was man an Kleidungsstücken die Nähte nennt, das war an unserem Wagenkasten überaus deutlich sichtbar. An den Stellen, wo die Räder den Kasten zu berühren vermögen, war die Farbe, sowie die darunter gelegene Epidermis, hinweggescheuert; ja diese Stellen zeigten hie und da sogar tiefer eindringende Wunden, die allerdings unheilbar waren. Genauere Aufschlüsse über die Altersverhältnisse des Wagens gewährte jedoch die fortgesetzte vorurtheilsfreie Betrachtung 7 seines Innern, das übrigens auch noch sehr gründliche Belehrung über die Anatomie der Stellwagen im Allgemeinen darbot. An vielen Stellen nämlich fehlte die innere Bekleidung des Gerippes, und an der der Wagentaschen war gar nichts vorhanden. Außerdem fehlten an den Fenstern und Thüren Drücker und Wirbel; sie waren jedoch von unseren Vorgängern durch Bindfaden ersetzt.
Die Peitschen knallten, die Pferde zogen an, und unser mit Menschen vollgepfropftes Fahrzeug rasselte schwankend über das Pflaster durch die Straßen, in denen der Regen die anbrechende Dämmerung vermehrte und förderte. Wir gelangten an die Linien, wo die Passirscheine abgegeben wurden, dann weiter auf die offene Landstraße und überließen uns, sorgfältig in die Mäntel gehüllt, dem Schlummer.
Jetzt fand auch die Fantasie erwünschte Muße, die zahlreichen Bilder der im Laufe des Tages im Fluge aufgenommenen Paläste, Kirchen, Thürme wieder zu erwecken und theilweise weiter auszubilden und noch höher aufzubauen. Auch hinter uns im inneren Heiligthume des Stellwagens hatte sich der Schlaf aller Insassen bemeistert. Nur die Pferde eilten im raschen Trabe auf der trefflichen Straße rastlos fürbas. Vom Himmel aber goß der Regen in Strömen herab. 8
Gegen Mitternacht fand in einem Dorfe der erste Pferdewechsel statt, der einen Aufenthalt veranlaßte, den wir benutzten, um in der großen, öden Gaststube ein Glas Sliwowitza zu genießen, denn es begann in unserem gegen den Wind schlecht verwahrten Cabriolet unangenehm kalt zu werden. Dann ging es durch die Nacht rasch weiter.
Der durch dicke Wolken hindurchdämmernde Tag zeigte uns ein Land mit Wald und Weide, hie und da mit einer ärmlichen Hütte besetzt. Gegen 6 Uhr wurde in einem Orte, wo männiglich Böhmisch sprach, der Wagen mit einem anderen vertauscht. Bis dahin hatten wir im Vordertheile gesessen; jetzt aber schlüpfte ich mit meinem Sohne in den hinteren Anbau des neugelieferten Wagens, der doch etwas wohnlicher eingerichtet war und genügenden Schutz gegen den Einfluß der Atmosphäre gewährte. Zudem hatten wir den Vortheil, von unserem Sitze aus die hinter uns liegende Gegend zu betrachten. Lange Zeit folgte unserem Wagen ein Knabe, der einen blinden Dudelsackpfeifer leitete. Dieser bemühte sich, uns auf seinem Instrumente ein Morgenständchen zu bringen.
Endlich gelangten wir nach Tabor, einer in den Hussitenkriegen wichtigen Stadt mit tüchtigen Mauern und Thürmen, die das umliegende hügelige Land beherrschen. Wir kamen durch mehrere Dörfer, wo neben ansehnlichen Steinhäusern armselige Lehmhütten mit Strohdächern 9 standen, die mit grünem Moose malerisch überwachsen waren. Ueber den meisten Giebelfenstern sah man Kränze oder Schnüre aus hellrothen Ebereschenbeeren, die, zum Theil mit einem Kreuze verziert, Rosenkränzen nachahmten. Die Frauen zeigten nicht minder die Vorliebe für die rothe Farbe, indem die, welche nicht barfuß gingen, rothe Strümpfe an den Füßen hatten. Uebrigens war die Tracht der Holzschuhe allgemein und bei dem gewaltigen Schmutz in den Straßen der Dörfer überaus zweckmäßig.
Die Mittagrast erfolgte in einem Marktflecken mit böhmischem Namen. Hier erhielten wir abermals einen anderen Wagen, dessen alterthümliche Federn mit kleinen Holzstäben gesteift waren. In Wien erkannte ich, daß dieser Wagen ein ehemaliger Wiener Omnibus gewesen. Hier verließen uns Reisende, und andere, Böhmisch redende Landleute, stiegen ein. Sie verstanden und sprachen jedoch durchweg auch Deutsch, was mit unseren Fuhrleuten nicht immer der Fall war. Die Physiognomieen der Menschen unterschieden sich von den sächsischen auch nicht, ebenso wenig die Tracht des Mittelstandes.
Endlich zeigte sich Budweis in der Ferne, und wir gelangten nach 5 Uhr in die saubere, ansehnliche Stadt. Der Stellwagen brachte uns durch die belebten Straßen auf den Marktplatz in den Gasthof zu den drei Hahnen, wo wir freundliche Aufnahme fanden.
10Nachdem wir die Kleider gewechselt, begannen wir die Wanderung durch die Stadt; der Marktplatz zeigt lauter stattliche, meist drei Gestock hohe Häuser, deren Dächer durch Stirnmauern verdeckt sind, so daß der Fremde meint, er befinde sich in einer Stadt mit flachen, italienischen Dächern. Nächstdem sind am Markt und in den Hauptstraßen sogenannte Lauben an den Häusern, in denen man bei Regen oder Sonnenschein bequem hinschreitet [1]. Mitten auf dem Markte erhebt sich ein stattlicher Brunnen, den vier, eine Muschelschale tragende riesige Gestalten bilden. Das Stadthaus ist ein ansehnliches, reichverziertes Gebäude. In den Lauben der Straßen war viel Verkehr und Leben; man sah Verkäufer von Lebensmitteln und Geräthen, Böhmisch redende, schmucke Mädchen und Frauen, Kaiserliche Infanterie, meist Italiener, mit pechschwarzen Haaren und Augen. Wir erblickten die Dechanei, deren Kirche mit vierzehn al fresco gemalten Stationen umgeben ist, die wie die ganze Stadt nett und sauber gehalten waren. Die Piaristengasse leitete uns zu einer gothischen Kirche. Nicht weit davon stieg hinter modernen Häusern einer jener alten viereckigen Thürme hervor, deren Ecken von kleinen Spitzthürmchen überragt sind. Die Promenaden 11 um die Stadt, zu denen man über die Moldaubrücke gelangt, sind geschmackvoll und wohlgepflegt und kränzen die Festungswerke gar anmuthig. Wir schlenderten bis zum Einbruch der Dunkelheit in den Straßen der Stadt umher, lasen die Schilder der Handwerker und Kaufleute, meist böhmische Namen, freuten uns aber auch der Säulen und Statuen, die nicht sparsam angebracht sind. Budweis wurde im Jahre 1256 von König Ottokar II. gegründet, ist gegenwärtig der Sitz eines Kreisamtes, Bischofs und Gymnasiums und hat, obschon die Einwohnerzahl nicht über 8000 ist, den Charakter einer wohlhabenden, nahrhaften Mittelstadt.
Nächstdem ist Budweis der Anfangspunkt der im Jahre 1827 eröffneten Pferdeeisenbahn, die von hier über Linz nach Gmunden am Traunsee führt. Sie ist die erste deutsche Eisenbahn und wurde von dem bekannten Mechaniker Ritter v. Gerstner angelegt. Sie ist die Trägerin eines außerordentlichen Verkehrs. Wir bemühten uns, auf eigene Hand den Bahnhof zu entdecken, fanden in einigen Straßen der Stadt auch in der That das Schienenlager, mußten aber wegen der einbrechenden Dunkelheit unsere Forschungen aufgeben.
Wir kehrten in unseren Gasthof zu den drei Hahnen zurück und setzten uns in der behaglichen Wirthsstube fest, um eine so nützliche als nothwendige Beschäftigung vorzunehmen, die unter dem Namen Abendbrot in 12 der Vertilgung eines vortrefflichen Rostbratels bestand, dem wir als Gesellschaft das berühmte Budweiser Bier folgen ließen, worauf wir uns zeitig zur Ruhe begaben.
Am Morgen des 30. August waren wir schon um vier Uhr zur Abreise bereit und wanderten, nachdem wir die sehr mäßige Zeche bezahlt, unter dem Vortritt des Hausknechtes mit unseren Habseligkeiten über den stattlichen Markt von Budweis. Mitten in der nächsten Straße standen auf den Schienen mehrere saubere, große Wagen mit Glasfenstern, vor deren je zwei ein Pferd vorgespannt war. Die Abwägung des Gepäckes, die Lösung der Fahrscheine war bald bewerkstelligt, und wir nahmen in den bequemen Wagen Platz. Bald nach fünf Uhr bewegte sich der Zug gemächlich vorwärts. Uns gegenüber saß eine ältere Dame mit ihrer so hübschen, als anspruchslosen Tochter, dann ein älteres Ehepaar aus Wien, welches Teplitz besucht hatte. Neben uns nahm eine jener stattlichen kräftigen Gestalten Platz, die unter den Männern von Oberöstreich so häufig sind. Es war ein junger Landmann von blühender Gesichtsfarbe, gefälligen Zügen, braunen Augen und Haaren. Er trug eine schwarze Sammetjacke, kurze gleichfarbige Lederhosen, saubere blaue Strümpfe, Schnürstiefel, ein buntfarbiges Halstuch von Seide, lose um den Hals geschlungen, und einen spitzigen Hut aus grobem schwarzen Filz.
13Allgemach entwickelte sich eine gemüthliche Unterhaltung. Die Dame hatte dem Kaiser bereits fünf Söhne als Officiere in das Heer gestellt, die denn auch in den Feldzügen der letztvergangenen Jahre mit Ehre gedient hatten. Der Landmann gestand, daß er in Geschäften in Budweis gewesen, da er auf dem Punkte stehe, seine Schwester zu verheirathen. Bei dieser Gelegenheit kam der Zustand des Landmannes in Oesterreich mehrfach zur Sprache. Er wurde als ein sehr günstiger geschildert. Der Landmann ist im Allgemeinen sehr wohlhabend, der Boden fruchtbar und gut angebaut. Der Landmann hält auf baares Geld und sammelt dasselbe an, so daß sehr bedeutende Summen in seinem Besitze sind. Das Geld hebt er in eisernen Gefäßen auf, die er vergräbt oder einmauert. Es ist mehrfach vorgekommen, daß man bei Abtragung alter Mauern Tausende von Silberthalern gefunden hat. Das geschieht übrigens seit alter Zeit und scheint überhaupt eine Sitte bei dem Landmann durch ganz Deutschland zu seyn, die noch aus den Zeiten herstammt, wo stete Fehden und Kriege jeglichen Besitz unsicher machten.
Mittlerweile begegneten unserem Zuge häufig ganze Reihen von kleinen Wagen, die mit Salz beladen waren und deren je drei von einem Pferde auf der Eisenbahn fortgezogen wurden. Das Salz ist in Fässer gepackt, deren eines je einen Centner enthält und deren 14 25-30 einen Wagen belasten. Da die Eisenbahn nur ein Gleis hat, so müssen die Züge an den Ausweichestellen auf einander warten. Außer dem Salz werden aber auch andere Güter auf der Bahn befördert, die überhaupt sehr stark benutzt wird und gar bedeutenden Gewinn abwirft. Zwischen Budweis und Linz wird sie neunzehnmal von der Landstraße gekreuzt, die bald über, bald unter ihr hinläuft. Auf den Haltepunkten sah man gewaltige Vorräthe von Salz und Holz, meist in hölzernen Gebäuden aufgestapelt, die von Ställen für die Pferde und Wächter- und Beamtenhäusern umstellt waren.
In der Mittagstunde fand eine längere Rast statt; man setzte sich zum Diner in einem nett eingerichteten Hause, das mitten im Walde gar freundlich gelegen war. Dann aber begann die Fahrt aufs Neue. Die Gegend wurde mehr gebirgisch, die Thäler, an deren Rande die Bahn sich hinzieht, tiefer und steiler.
Es dunkelte bereits, als wir aus der Ferne den glänzenden Spiegel der Donau und sodann die weißen Häuser von Linz durch das Grün des Waldes schimmern sahen. Die Bahn senkt sich und endet in dem Bahnhof an der nördlichen Seite der Donau. Gensdarmen nehmen die Pässe in Empfang, das Gepäck wird ausgegeben, und wir schreiten über die hölzerne Donaubrücke nah dem Gasthofe zum schwarzen Bock, dessen freundlicher 15 Wirth den ermüdeten Wanderern sorgsame Pflege widmete.
Der Sonntagsmorgen des 1. September versprach einen freundlichen Tag, die Straßen der schönen Stadt Linz glänzten in den Strahlen der Morgensonne, namentlich das goldverzierte Portal des Landhauses, als wir nach dem Bahnhofe schritten und die Wagen bestiegen, die uns nach Gmunden führen sollten. Unsere Reisegesellschaft bestand zumeist aus Landleuten, die in ihrem Sonntagstaate frisch und schmuck sich ausnahmen. Frauen und Mädchen haben Mittel- und Hinterhaupt in ein schwarzseidenes Tuch geschlagen, dessen Zipfel lang auf dem Rücken hinabhängen. Um den Hals tragen sie ein breites, aus mehreren Reihen Silberketten bestehendes Band, das vorn mit einem viereckigen Schilde von Silber geschlossen ist, an dem man meist Granaten, Topase und andere Edelsteine angebracht sieht. Demnächst tragen sie meist Ohrringe aus Gold. Uns gegenüber saß ein junges Mädchen mit feinem, frischen Gesichte, sie trug ein Kleid aus schwarzer Seide und einen Spenser aus gleichfarbigem Sammet. Ihre Bewegungen waren anmuthig und zierlich, eine Eigenschaft, die wir an allen Landleuten dieser Gegend wahrnahmen. Sie schwatzte lustig mit ihren Gefährten; doch wurde es uns schwer, ihren Dialekt zu verstehen.
16Mittlerweile wurde unsere Hoffnung auf einen sonnigen Tag durch den kräftigen Regen verwischt, der sich gar bald einstellte und uns nöthigte, die Wagenleder herabzulassen. Der Weg führte in der Ebene vorwärts abwechselnd durch wohlangebautes Land und Fichten- und Kiefernwald. Zunächst wurde in Lambach Halt gemacht. Von dem Bahnhofe aus sahen wir in der Ferne das stattliche Benediktinerstift, das dem Orte seine frühere Berühmtheit gegeben. Es hebt sich mit seiner ansehnlichen weißen Façade und den stattlichen weißen Thürmen kräftig von dem waldigen Hintergrunde ab.
In waldiger Gegend ging es dann vorwärts nach Gmunden hin; bald zeigten sich die hohen Gebirge in der Ferne, der Weg senkte sich, durch die Wipfel der Kiefern glänzte die dunkelgrüne Fläche des Traunsee’s, und der Zug hielt auf dem Bahnhofe von Gmunden an.
Der Regen hatte nachgelassen, und wir schritten der Traun zu, die unmittelbar vor der alterthümlichen Stadt große Mühlwerke in Bewegung setzt. Wir traten endlich auf den Marktplatz von Gmunden und wurden auf das Freudigste von dem großartigen Anblick überrascht, der sich uns darbot. Der von freundlichen Häusern gebildete Marktplatz stößt mit seiner offnen Südseite an den Traunsee, in den eine Brücke für das Dampfschiff hinausgelegt ist. Der See ist von hohen steilen Felsenwänden begrenzt, unter denen der 6000 Fuß hohe Traunstein 17 sich auszeichnet. Eben zog ein Wetter von unserer Rechten aus den Felsen über den See und verlieh dem Hintergrunde eine tiefviolette Färbung.
Wir standen lange an dem Ufer, das von den bewegten Wellen des See’s in regelmäßigem Versmaße benetzt wurde, und konnten uns von dem unbeschreiblich schönen Anblick kaum losreißen. Das herankommende Dampfschiff erinnerte uns jetzt, der Praxis uns zuzuwenden. Wir begaben uns nach Beendigung der Geschäfte in das Gastzimmer des goldnen Schiffes, wo zahlreiche Reisende von der flinken, sauberen Kellnerin mit Speis’ und Trank sich versorgen ließen. Das gute Geschick verschaffte uns einen Platz an dem Fenster, das uns den prächtigen Anblick des sturmbewegten See’s gewährte.
Dann begaben wir uns auf das Dampfschiff, wo sich viele Leute einfanden, um die Ueberfahrt nach Ebensee zu bewerkstelligen. Wind und Regen fegten bald das Verdeck, man begab sich in die Kajüte. Indessen lockte mich die Aussicht auf die Gebirge bald wieder heraus. Da sah man denn die Häuser am Fuße des Traunsteins weißen Punkten gleich an der dunkeln Wand des Felsens; am niedlichen, uralten Stift Traunkirchen, auf einer felsigen Halbinsel, flogen wir rasch vorüber und eilten der Landungsbrücke von Ebensee zu, wo zahlreiches Landvolk im Sonntagstaate umherstand, und die Stellwagen unserer bereits harrten, die uns nach Ischl führen sollten. 18 Man beeilte sich, das Gepäck unterzubringen und Platz zu finden. Diese Stellwagen sind vorzugsweise auf gutes Wetter berechnet. Sie sind sehr lang und mit einem auf eisernen Stäben ruhenden Verdeck versehen, auf welchem das Gepäck seine Stätte findet. Die Seiten werden bei Regenwetter mit Ledervorhängen verschlossen. Im Wagen haben 18 Personen Raum. Drei Pferde bewegen das Ganze rasch vorwärts. Die trefflich unterhaltene Straße führt durch den netten, an Fabriken reichen Ort, längs der tosenden Traun hin, in ein schmales Thal, dessen Seiten sehr steil und mit Nadelholz bestanden sind. Wir kamen an manchem herabstürzenden Wasserfall vorüber und hatten zur Rechten immer die Solenleitung, die von Ischl herüberkommt. Der Regen wurde heftiger, und unser Kutscher brachte nun ein Kleidungsstück hervor, welches uns in die Gebirge von Chile und Peru versetzte. Es besteht in einer überaus dicken, langhaarigen Decke von Wollstoff, in deren Mitte ein Schlitz angebracht ist, durch welchen der Kopf gesteckt wird. Dieser Poncho schützt Arme, Brust und Rücken vortrefflich. Wir trafen ihn fürder bei Landleuten, Straßenarbeitern, Fuhrleuten und sogar bei Weibern und Kindern.
Die Traun, zur Holzflöße benutzt, tosete oft in beträchtlicher Tiefe zur Seite des Weges. Ihr Bett ist häufig durch Felsblöcke beengt, die den Kähnen und Flößen gefährlich seyn mögen. Zwei dieser Felsen kurz vor 19 Ischl sind mit einem Crucifix gekrönt, zum Andenken an die Errettung eines Kahnes. Endlich rollt der Wagen über eine Brücke, nachdem nette Spazierwege am Rande des Thales die Nähe des besuchten Badeortes und dicht aufsteigender weißer Dampf die Salzsiedereien desselben verkündet haben. Der Wagen hält an der Post von Ischl, die bereits von Gästen überfüllt ist, da die Majestäten von Oesterreich und Preußen eben in Ischl verweilen.
Wir fanden indessen etwas weiter in dem sauberen Gasthofe zur goldenen Krone eine gar freundliche Aufnahme und begannen, da der Regen nachgelassen, unsere Wanderung durch den Ort, der meist aus neuen, zum Theil sehr stattlichen Gebäuden, Gasthöfen und Salinenhäusern besteht. Längs der Traun sind Baumreihen angebracht; Ruhebänke, Gedenksteine, Boskets wechseln mit Blumenbeeten und anderen den Badegästen gedeihlichen Anstalten. Ein bedeckter Säulengang in der Nähe der Badeanstalt gestattet Bewegung auch bei unfreundlichem Himmel.
Zunächst galt es nun, ein Fortkommen für den nächsten Tag und nach Salzburg zu gewinnen. Es boten sich Stellwagenführer dar, allein ich zog es vor, den Vorschlag eines Bürgers von Ischl anzunehmen, der sich anheischig machte, uns beide für 7 Gulden Münz in einem eleganten und bequemen Einspänner morgen nach 20 Salzburg zu führen. Der Mann zeigte mir Pferd und Wagen, und der Vertrag wurde mit Handschlag bekräftigt.
Wir begaben uns sodann in unseren Gasthof, wo eine freundliche Wirthin und zwei saubere Kellnerinnen uns mit Speis’ und Trank versorgten, und wir einen unterrichteten schlesischen Landwirth antrafen, der uns viel Interessantes aus den Jahren 1813 und 1814 mittheilte.
Am frühen Morgen des 2. Septembers hielt unser eleganter Einspänner vor der Thür, sein Inhaber und Lenker, Freund Krieshueber, verpackte unsere Koffer sorgfältig, und wir rollten, von den Glückwünschen unserer Wirthin geleitet, auf der guten Straße davon. Auch auf dieser Seite des Badeortes fehlte es nicht an Denkmälern, Tempelchen, Ruheplätzen, Promenaden, Inschriften. Zur Seite tosete die Ischl, ein hellgrünes, lustiges Gebirgswasser, das sich von Zeit zu Zeit wie neckend hinter Büsche und Bäume verbarg, zwischen denen hie und da Rinder einzeln umherstiegen.
Unser wackerer Fuhrmann trieb fortwährend seinen Gaul, einen starken und fetten Pinzgauer von brauner Farbe, an, einen lebhafteren Schritt anzunehmen. Der Braune aber war anderer Ansicht und ließ bald wieder nach. Krieshueber handhabte deshalb die Peitsche kräftiger, was der Braune endlich mit offenbar widersetzlichen Geberden, namentlich dem Versuch, die Stränge zu zerschlagen, 21 beantwortete. Krieshueber war jedoch keineswegs der Mann, bei dem man damit etwas ausrichtete. Er sprang von seinem Sitze herab, faßte den Zügel scharf an und hieb sein widerspänstiges Roß über Brust und Stirn mit der Peitsche dergestalt kräftig, daß wir eine Intervention stattfinden ließen. »Ei was da,« erwiderte der Gestrenge, »es hat mi halt zorni gmacht!«
Krieshueber kannte sein Roß übrigens, wie der Erfolg bewies, ganz gut, denn fortan war es das gehorsamste und fleißigste Zugthier, das man sich denken konnte, und unser Wäglein rollte lustig fürbas. Wir gelangten bald an den prächtigen St.-Wolfgang-See, dessen hellgrüne Wellen munter an das Ufer heranrollten und das erfreuliche Schauspiel der Brandung darstellten. Trotz der Nebelwolken, in welche die Spitzen der steil aufsteigenden Felsen gehüllt waren, trotz des Regens, der strichweise uns nöthigte, den Ledervorhang herabzulassen, war doch die Fahrt im höchsten Grade erheiternd und genußreich. Welche reiche Vegetation schmückte nicht die Wiesen- und Straßenränder, welche unbeschreiblich schöne, mannichfaltige, farbenreiche Bilder entfaltete jede Biegung des Weges; bald standen am Wege Tafeln, auf denen Unglücksfälle früherer Wanderer abgebildet waren, bald sahen wir Capellen mit den Bildern der Madonna, des Heilandes oder anderer Heiligen, bald zeigten sich die weißen Gebäude vom St.-Wolfgangs-Stift dicht am 22 See in weiter Ferne, bald verdeckte der stattliche Fichtenwald den farbenschimmernden Spiegel des See’s gänzlich unseren Blicken. Wir naheten eben einem gewaltigen hölzernen Bauernhause, an dessen Ecke ein krystallklarer Wasserstrahl in einen ausgehöhlten Baumstamm sich stürzte und, denselben füllend, mehrere kleine Wasserfälle bildete, als unser Brauner eigenmächtig und zwar so entschieden vom Wege ablenkte, daß wir meinten, er habe die Absicht, seinen gestrengen Herrn Krieshueber und uns aus dem Wagen zu schütten. Herr Krieshueber sah dem Beginnen jedoch ganz ruhig zu, und der Braune steckte sein Maul in die Wasserfülle des Troges und zog dieselbe überaus behaglich in sich, ruhete ein wenig, trank abermals und setzte dann offenbar sehr befriedigt und ohne besondere Aufforderung seines Herrn den Weg willig weiter fort. Ja er schien nun erst recht ins Laufen zu kommen. Krieshueber erklärte auf unsere Bemerkung, daß dieser Trunk auf die Hitze dem Thiere doch schädlich seyn müsse, daß dies durchaus nicht der Fall sei, wenn nur das Thier nachher wieder scharf dahintrabe. Wir fanden im Verlauf unserer Reise, daß jeder Fuhrmann seinem Pferde diese Erfrischung gestattete, daß die Thiere die Stelle genau kannten, wo Wassertröge zu finden waren, und daß sie unaufgefordert und unaufgehalten denselben sich zuwendeten, obschon ihnen der klare Schweiß auf dem Felle stand.
23Der Weg senkte sich, wir gelangten abermals an das Ufer des See’s und hatten den Anblick der gegenüberliegenden Felsen und des riesigen Schafbergs. Links am Wege standen die ansehnlichen Gebäude des alten Brauhauses Lueg, dessen Bier eines besonderen Rufes genießt. Wir eilten vorüber und gelangten sodann an den ersten Ruhepunkt, nach St. Gilgen, wo unser treuverdienter Brauner ausgespannt und in den Stall des stattlichen Gasthofes des Posthalters geführt wurde.
In der gewölbten Hausflur stand die ansehnliche Gestalt des Wirthes, dem ein riesiger hellbrauner Hund zur Seite lag. Wir beide wurden in ein kleines Gemach rechts vom Eingange gewiesen. Es war gewölbt, in der einen Ecke befand sich ein geschnitztes Christusbild. An der Wand sah man unter Glas und Rahmen den Erzherzog Johann mit einem Begleiter in leichtem Reisewagen, auf dessen Handpferd eine frische Mädchengestalt in der schmucken Tracht eines Kaiserlichen Postillons saß. In kurzen schlichten Worten meldete die Unterschrift die Geschichte der nachmaligen Gemahlin des Kaiserlichen Prinzen und schloß mit den Worten: »und das war gut.«
Wir aber nahmen behaglich am gedeckten Tische Platz und erwärmten uns zuvörderst durch eine Tasse Kaffee, die wir mit Kesperwasser verstärkten, da Arrak oder Rum hier fehlten. Dann erst ließen wir die Wiener Würstel mit Kren folgen und den trefflichen Grinzinger, 24 der eben so leicht als wohlschmeckend ist. Wir schenkten eben das letzte Glas ein, als eine überaus wohlgenährte Frau mit rothem Gesicht ins Zimmer rasch eintrat und ebenso rasch durch die gegenüberstehende Thür unseren erstaunten Blicken sich entzog. Sie war fein und städtisch gekleidet, trug aber auf dem Haupte einen ansehnlichen Helm von Gold, der eng an Stirn und Schläfe anschloß und einem Nautilus noch am ehesten zu vergleichen war. Es ist dies die Festtracht der älteren Frauen der reichen Landleute, die wir nachmals in Salzburg öfter sahen. Solch’ eine aus dem besten, echten Golddrahte geflochtene Haube kostet mindestens 100 Gulden und erbt in der Familie fort. Die Tracht stammt jedenfalls aus der frühesten Vorzeit und ist in der That überaus prächtig und für volle Gestalten auch sehr kleidsam.
Wir erhoben uns endlich und traten unter das vor dem Gasthofe errichtete Schirmdach. Eben war die Kirche beendigt, und die Landleute, die Männer in schwarzen, langen Röcken, schritten ihren Häusern zu. Jetzt kam auch die Post von Ischl heran und brachte eine namhafte Fülle von Reisenden, die der großen Gaststube zuströmten. Herr Krieshueber spannte auch seinen Braunen ein, wir aber beschlossen, den steilen, großen Berg, der hinter dem Gasthofe aufstieg, zu Fuß zu beschreiten.
Zu beiden Seiten der Straße standen die Häuser des Dorfes mit den Schindeldächern, die gegen die Stürme 25 mit Steinen beschwert waren. An vielen derselben las man Inschriften, unter denen die des Müllers ohnstreitig die interessanteste war:
Ich achte meinen Wasser
gleichwie dem Regenwasser
das von den Dächern fließt.
Ob sie mich gleich beneiden,
so müssen sie doch leiden,
daß Gott mein Helffer ist.
Nicht minder interessant war aber auch die Flora auf den Wiesen, die hinter dem Dorfe begannen, worunter sich der Alpenthymian durch seine besondere Größe auszeichnete. Wir stiegen rüstig fürbas und wendeten uns oft um, um die prachtvolle Ansicht des St.-Wolfgang-See’s und des tief unter uns liegenden Dorfes St. Gilgen zu bewundern.
Endlich gelangten wir in den Wald, und Krieshueber ersuchte uns, den Wagen wieder zu besteigen, obschon es noch ein gutes Stück Weges bergauf ging. Wir freuten uns der reichen, üppigen Vegetation des Waldes, dessen Nadelhölzer überaus kräftig dastanden. Ueberall rieselten muntere Bergwässer. Die Straße senkt sich, und wir gelangen an den Fuschelsee, der zwar etwas kleiner ist als der von St. Wolfgang, aber nicht minder schöne Färbung zeigt.
Der Fuschelsee soll an manchen Stellen 150 Klaftern tief seyn; am Rande, wo das Dörfchen Fuschel liegt, 26 ist er schön türkisfarben, weiter nach der Mitte dunkelgrün, und am jenseitigen Ufer zieht sich ein lichter gefärbter Streifen hin. Uebrigens wechselt die Farbe aller dieser Seen je nach dem Stande der Sonne, dem Zuge der Wolken und der Richtung des Windes.
Der Weg steigt nun wieder auf, und wir gelangen bald nach Hof, in dessen stattlichem Posthause abermals ein Stündchen gerastet wird. In der Wirthsstube schalten sehr saubere Kellnerinnen mit Gesichtern so frisch wie Milch und Blut. Dem Wirthshause gegenüber steht die alte Sebastiankirche, die, wie die meisten des Salzburger Landes, modernisirt ist. Sie ist mit einem wohlgepflegten Kirchhof umgeben, den eine Mauer einschließt. Wir sind hier 2219 Fuß über der Ostsee.
Wir fahren weiter; allein von hier an wird das Land einförmig im Vergleich zu der prachtvollen Gegend an den Seen. Auf den Feldern bemerken wir aufgerichtete Holzstäbe von 4-5 Fuß Höhe, in denen Querstäbe angebracht sind, auf welchen das abgeschnittene Getreide vor dem Einbringen in die Scheunen getrocknet wird. Wir fanden diese Stäbe von hier an durch ganz Oberösterreich, wo man auch Heu und Klee in gleicher Weise abtrocknet. Die Gegend erinnert an das Erzgebirge und dessen langhingestreckte Bergrücken.
Endlich gelangen wir zu einer freien Aussicht auf das Thal, aus welchem das glänzende Silberband der 27 Salzach und die weißen Häuser der Stadt Salzburg und ihrer Umgebung hervorleuchten.
Wir steigen aus, um den letzten, steilen und langanhaltenden Berg zu Fuß hinabzuwandern. Zur Linken ist uns ein gewaltiger Berg, der uns noch immer den Anblick der Stadt entzieht, deren Nähe aber bereits stattliche Wohnhäuser verkünden. Freund Krieshueber ladet uns ein, wieder Platz zu nehmen, und der Braune zieht uns munter vorwärts. Wir gelangen an das wohlbefestigte Linzer Thor, die Gensdarmen nehmen unsere Pässe in Empfang, und der Wagen bewegt sich gemäßigt durch die belebte Straße nach dem Gasthofe zur goldenen Traube, vor welchem zahlreiche Fahrzeuge bereits aufgestellt waren. Während nun mein Sohn bei dem Wagen blieb, begab ich mich über die Brücke nach der anderen Seite der Stadt. Straßen und Brücken waren dicht mit Menschen besetzt, die den Festzug der Schützen erwarteten, die auf dem Schießstand heute das zu Ehren der Forst- und Landwirthe veranstaltete Festschießen beginnen sollten. Ich eilte nach dem stattlichen Collegiumgebäude. Die Treppe war mit festlichem Grün geschmückt, die Festordner saßen an der Tafel und überreichten mir, nachdem ich meinen Namen in das Album eingetragen, das Programm, die höchst elegante Aufnahmekarte, in welcher zugleich ein Kärtchen der Umgebung von Salzburg sich befindet, dann aber das weiß und rothe Seidenband, welches die Mitglieder der 28 Versammlung tragen sollten. Ein Diener geleitete mich nach der für mich bereitgehaltenen Wohnung auf der Getreidegasse; meine neuen Wirthe empfingen mich mit der dem Oesterreicher so eigenthümlichen Herzlichkeit, und ich eilte nun, meine Habseligkeiten herbeizuholen, nach dem Gasthofe zurück. Freund Krieshueber nahm seine 7 Gulden nebst Trinkgeld in Empfang und äußerte den Wunsch, uns auch wieder nach Ischl zu führen. Er nahm herzlichen Abschied, und wir hielten nun unseren Einzug in die elegante Wohnung.
So waren wir denn in dem altberühmten Salzburg, froh, daß nun doch auf acht Tage das Fahren und Eilen eingestellt und ein etwas ruhigerer behaglicher Genuß der sich darbietenden Gegenstände stattfinden werde. Die Einräumung unserer Sachen und die Toilette war bald bewerkstelligt, und wir schickten uns an, Entdeckungsfahrten in der Stadt zu machen, deren Aeußeres uns schon so ungemein ansprach.
Salzburg besteht aus 800 Häusern, die etwa 12,000 Einwohner beherbergen und an beiden Ufern der Salzach sich hinziehen, welche von dem Capuziner- und dem Mönchsberge begrenzt werden. Am Fuße des ersteren am rechten Salzachufer befindet sich der kleinere Stadttheil mit der Vorstadt Stein, am linken dagegen ist die Festung Hohensalzburg, nebst dem Dom, dem Benediktinerstift 29 St. Peter und dem größeren Theile der Stadt, nebst den Vorstädten Nonnthal und Mülln.
Die 370 Fuß lange Holzbrücke hatte ich bereits ein paar Mal überschritten und von da aus die prächtige Aussicht auf die stattlichen Häuser am Ufer, die Festung, die Berge, die Vorstadt Mülln genossen. Jetzt schritten wir durch unseren Hof, den ein wohlgemaltes Marienbild schmückte, und dessen Arkaden an Italien erinnern, nach dem Platze, dessen Hauptseite die große Façade des Collegiumgebäudes bildet. Von da aus gingen wir nach der stattlichen Pferdeschwemme, einem oblongen Bassin aus Marmor, an welchem eine schöne Gruppe, ein Pferdebändiger, aufgestellt ist. Das Roß gehört der kräftigsten Pinzgauer Race an, der ihm zur Seite stehende Mann erinnert an den Borghesischen Fechter. Die Gruppe ist etwas über Lebensgröße. Den Hintergrund der Pferdeschwemme bildet eine Mauer, an welcher sich gemalte, aber bereits verblichene lebensgroße Pferde befinden. Die Mauer ist hie und da durchbrochen.
Wir schritten sodann durch ein großes Thor und suchten den Dom auf, der allerdings einen sehr großen Eindruck auf den Beschauer ausübt. Er ist ganz aus Marmor gebaut, 360 Fuß lang, 220 Fuß breit, und die Höhe des Mittelschiffes beträgt 150 Fuß. Imposant ist der Anblick der Süd- und der Nordseite von den freien Plätzen. Es sind im Rusticostyl aufgethürmte Marmorblöcke, 30 die nur von wenigen Fenstern unterbrochen werden. Ueber dieselben ragt die achteckige Kuppel in gleicher Höhe mit den beiden Thürmen der Westseite empor, die sich an die bischöfliche stattliche Residenz anlehnt und mit dieser durch gewaltige Arkaden verbunden ist. Die Westseite ist von den beiden Thürmen begrenzt, zwischen denen die große Thorhalle eingeschlossen ist, deren schönste Zierde die vier kolossalen Statuen der Heiligen Rupertus, Virgilius, Peter und Paul, sämmtlich aus Marmor, bilden. Die letzteren sind im Jahre 1709 von Mändl gearbeitet worden, demselben Künstler, der den Pferdebändiger an der Schwemme gefertigt hat. Wir traten in den Dom ein und bewunderten die einfachen, großartigen Verhältnisse des Innern. Gleich in der Vorhalle stehen zwei Marmorbecken auf schlankem Fuße, nicht weit davon eine uralte Taufe aus Blei, die auf vier kupfernen Löwen ruht. Es war zu dunkel für die Betrachtung der zahlreichen mit großen Gemälden geschmückten Altäre und der Grabstätten der Bischöfe. Wir traten daher wieder heraus und betrachteten die große Mariensäule; die Statue der heiligen Jungfrau, gleich den vier anderen Figuren aus Blei, ist 1771 von Hagenauer gefertigt worden und spricht weniger in den Einzelheiten an, obschon sie stets eine schöne Zierde des Platzes bildet.
Desto schöner ist der prachtvolle Hofbrunnen auf dem Residenzplatze mit den riesigen Seepferden und den 31 vier, die Schale tragenden Männern. Er wurde unter Erzbischof Guidobald Grafen von Thun im Jahre 1664 von dem Italiener Antonio Dario erbaut. Er ist ganz aus weißem Marmor, 45 Fuß hoch und trefflich erhalten.
Nicht weit davon erhebt sich ein anderes Denkmal, die am 4. September 1852 aufgestellte eherne Statue von W. A. Mozart, der im Jahre 1756 in Salzburg geboren wurde. Es ist ein Meisterwerk Ludwig Schwanthaler’s und eine der größten Zierden der Stadt, deren schönste Gebäude und Plätze sich um den Dom gruppiren.
Wir aber wendeten uns jetzt dem Gasthofe zum Erzherzoge Karl zu, um uns zu ferneren Betrachtungen neue Kräfte zu verschaffen. Wir hatten eben ein vorzügliches Rostbratel zu uns genommen, als ein schlanker junger Mann eintrat, der zu dem Gefolge des Herrn Erzherzogs Johann gehörte; wir kamen bald in ein Gespräch mit ihm und vernahmen auch von dieser Seite interessante Mittheilungen über die rastlose Thätigkeit des Kaiserlichen Prinzen, über seine landwirthschaftlichen, montanistischen und wissenschaftlichen Unternehmungen und das allgemeine Vertrauen, das er sich bei Alt und Jung erworben hat. Namentlich rühmte unser neuer Bekannter die Gärten und botanischen Sammlungen seines Fürsten, deren Vervollständigung er sich immer angelegen seyn lasse. Er rühmte ferner die große Güte und Leutseligkeit, die 32 ihm die allgemeinste Liebe erworben, erwähnte aber auch der Verläumdungen und Schmähungen, die der edle Fürst in Frankfurt erfahren habe.
Wir begaben uns nachher über den Michaelisplatz nach dem Ufer der reißenden Salzach, und ich fand hier Anklänge an Florenz und den Lungarno. Vom gegenüberliegenden Ufer blickte der steile Capuzinerberg mit seinen Befestigungen herab. Wir schritten am Quai hin und begaben uns auf die Brücke, die wir stets sehr belebt fanden. Da erklangen alle Glocken der Stadt, man läutete Ave Maria. Die meisten Männer nahmen die Hüte ab. Wir gestanden, daß diese Aufforderung der ehernen Stimmen von der Höhe der Thürme doch einen unbeschreiblich feierlichen Eindruck mache und gewiß in vielen Herzen einen erhebenden Wiederhall finden müsse.
Wir schritten noch durch einige Straßen nach unserer Getreidegasse und begaben uns bald zur Ruhe.
Als wir am Morgen des 2. Septembers erwachten, vernahmen wir das Getropfe eines gründlichen Regens, der die rothmarmornen Fensterwände unseres Zimmers in erhöhte Farbe und besonderen Glanz setzte. Ein Blick in die Straße zeigte zahlreiche Regenschirme und ebenfalls rothmarmorne wassergefüllte Rinnsteine. Wir wußten nun freilich, daß die Stadt und Umgegend von Salzburg im Laufe des Jahres in der Regel nur achtzehn vollkommen regenfreie Tage habe, und daß der heutige 33 Tag nicht unter diese Zahl gehören werde, zeigte schon der flüchtigste Blick auf den mit dichten Wolken bezogenen Himmel. Ich ließ daher Regenschirme herbeibringen und kaufte einen derselben zu heutigem und künftigem Gebrauche an.
So ausgerüstet begab ich mich nach dem Hôtel des Herrn Erzherzogs, konnte jedoch nicht die Ehre haben, demselben vorgestellt zu werden, da er bereits in eine Deputationsitzung sich begeben. Ich holte mir deshalb meinen Gefährten, und wir schritten dem Dome abermals zu, diesmal dem Inneren eine genauere Betrachtung widmend. Die Altargemälde von Mascagni, Screta, Sandrart und Schönfeld sind tüchtige Arbeiten von großem Umfange und vorzüglicher Erhaltung, denen jedoch eine günstige Beleuchtung abgeht. Von Mascagni, einem Servitenmönch aus Toscana, der 1636 in seiner Heimath starb, sind auch die großen Fresken im Schiff und Chor, während sein Schüler Solari die kleineren gemalt hat. Wir aber gelangten im Dom von Salzburg nie recht zu dem behaglichen Genuß des Einzelnen, da die Großartigkeit des ganzen Gebäudes, das prachtvolle Tonnengewölbe des Schiffes, die emporstrebende Kuppel, die riesigen Pfeiler den Blick an sich zogen.
Unter strömendem Regen schritten wir sodann der Benediktinerabtei St. Peter zu, in deren stattlichem Hofe die Façade der Kirche und der mit der Marmorstatue 34 des Apostels geschmückte Brunnen zunächst unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Das Peterstift ist durchgängig in neuerem Style gebaut und in den Jahren 1657 bis 1754 hergestellt. Es besteht aus einfachen, langhingestreckten Gebäuden ohne besonderen Schmuck. Desto angenehmer war die Ueberraschung, als wir in das Portal der Peterskirche traten. Wir standen vor einer Pforte, die aus abwechselnden Schichten von rothem und weißem Marmor, in der Art des Doms von Siena und Como, erbaut ist. Die Pforte ist ein Rundbogen mit prächtig ausgearbeiteten Capitälen. Ein oben in das Halbrund eintretendes Relief zeigt den Heiland auf dem Throne, neben welchem die Apostel Petrus und Paulus in dem älteren, an die Antike streifenden Styl knieen. Ein kunstvoll gearbeitetes Gitter trennte uns von dem reich in Gold und Farben strahlenden Innern der Kirche.
Eine alte, kleine Frau redete uns an und erbot sich, uns den Kirchhof zu zeigen; wir folgten ihr durch einen Thorweg und sahen ein überaus reiches Feld von Grabsteinen und Denkmalen vor uns, in deren Mitte eine kleine, im gothischen Style erbaute Capelle vom Jahre 1485 sich erhebt. Dies ist die Stätte, wo der heilige Rupert seinen Sitz aufschlug; sie ist der heiligen Margarethe gewidmet.
Zur Rechten erhebt sich dicht neben dem Kirchhofe der steile Felsen des Mönchsberges, in dessen Breccie die 35 Wohnstätten der ältesten Christen eingemeißelt waren. Sie erlitten im Jahre 477 unter dem heiligen Maximus den Märtyrertod durch die Heruler, die das alte Juvavia der Erde gleich machten.
Wir begaben uns zunächst nach der rechts am Felsen gelegenen Nische, in welcher ein hohes Crucifix errichtet ist und welche den Anfang einer langen, den Kirchhof umschließenden Arkadenreihe bildet, in welcher sich Denkmal an Denkmal anreihet. Alle diese bedeckten Grabstätten waren vortrefflich gehalten und die meisten mit frischen Blumen geschmückt. Man sah hier viele in Oel gemalte Portraits, Scenen aus dem Leben der Heiligen, Büsten, Denksteine in den verschiedenen Manieren der letzten drei Jahrhunderte. Unter diesen zeichnet sich das von L. Schwanthaler aus weißem Marmor gefertigte Denkmal einer polnischen Gräfin aus. Nicht minder reich ist der unbedeckte Theil des Kirchhofes, der eine sehr vollständige Geschichte der Denkmäler seit dem Ende des 15. Jahrhunderts darbietet. Auf den meisten Gräbern sieht man kleine Weihkessel aus rothem Marmor, meist einfach runde Schalen. Andere bilden herzförmige Gefäße. Ein Kessel hat die Gestalt eines Todtenschädels. Auf vielen Gräbern erblickt man Kreuze mit der bunt in Oel gemalten Gestalt des Heilandes. Doch finden sich auch hier Büsten und Statuen, meist in Marmor. Der unablässig strömende Regen zwang uns endlich zum Rückzuge. 36 Unsere Führerin, die wir jedoch nur bei angestrengter Aufmerksamkeit verstanden, erfreute uns noch mit der tröstlichen Nachricht, daß nahe dem Kirchhofthor der Eingang zu dem Stiftskeller sich befände, wo wir eine Erquickung finden würden.
Wir folgten dieser Weisung und tappten durch die finstere Pforte in ein kleines Parterrezimmer, aus welchem uns lieblicher Duft von Gebratenem und Wein entgegenwehete. Wir fanden in einem Geistlichen aus Mähren und zwei Nürnbergern erheiternde Gesellschafter.
Indessen so gemüthlich und behaglich der Aufenthalt in diesen überaus bescheidenen Räumen war — wir mußten scheiden, und ich begab mich in das stattliche Collegiumgebäude, wo die Versammlung unter dem Vorsitze Sr. Kaiserl. Königl. Hoheit des Herrn Erzherzogs öffentliche Sitzung halten sollte. Der Saal war reich und geschmackvoll in Roth und Gold ausgeschmückt. Dem Vorsitzenden war eine Tribüne bereitet. Der durchlauchtigste Präsident, wie alle Anwesende, im Paletot, war bereits erschienen und im Gespräch mit den Beamten begriffen. Ich fand unter den Anwesenden viele Landsleute und Freunde aus Sachsen, die sich durchgehends in bitteren Klagen über das entsetzliche Wetter ergossen. Endlich wurde Platz genommen und die Sitzung von dem Präsidenten eröffnet. Es folgten nun mehrere interessante Vorträge, die namentlich das Forstwesen zum Gegenstande 37 hatten, eine lebhafte Besprechung veranlaßten und bis gegen zwei Uhr währten. Dann trennte man sich, nachdem ich noch das Festgeschenk in Empfang genommen, das durch gediegenen Inhalt und geschmackvolle Ausstattung sich auszeichnet.
Ich begab mich dann mit meinem Gefährten in das Gasthaus zum Erzherzog Karl. In einem der Säle war ein Diner arrangirt. Wir fanden jedoch keine Bekannten und wurden demnach nicht gestört in unseren Betrachtungen, zu denen Gäste, Wirth und Kellner den erquicklichsten und reichsten Stoff darboten. Wir ergötzten uns namentlich an den im Trabe aufmarschirenden, wohlfrisirten und mit weißen Halsbinden festlich geschmückten Kellnern, hinter denen der stattliche Wirth mit rothem Gesicht und funkelnden Augen wie ein drohender Dämon einherlief, hier ordnend, dort tadelnd, überall nachsehend, nichts unbeachtet lassend. Nicht minder erfreulich waren die bald hie, bald da im Sale sich erhebenden Stimmen der Gäste, das Geklirr der Messer und Gabeln, das Gläserklingen, das Knallen der Pfropfe und das ganze, tolle Durcheinander.
Endlich war das letzte Gericht bezwungen, das letzte Glas geleert, und der Kellner, wenn auch nicht mit klingender Münze, bezahlt worden. Wir gingen nun abermals in den Dom, der stets eine unwiderstehliche Anziehungskraft für uns hatte, und von da aus nach dem 38 Benediktinerstift. Die Peterskirche fanden wir geöffnet und einen Führer, der uns auf die Einzelheiten des reich geschmückten Innern aufmerksam machte. Wir treten durch die bereits erwähnte byzantinische Marmorpforte ein. Um das Relief läuft folgende Inschrift:
IANVA SVM VITAE . SALVANDI QVIQVE VENITE.
PER ME TRANSITE . VIA NON EST ALTERA VITAE.
Die Kirche ist 200 Fuß lang und 75 Fuß breit, bei verhältnißmäßiger Höhe. Das Ganze mit 16 Altären aus rothem Marmor und den Altarbildern von Sylvester Bauer, N. Streicher, Fackler und dem in Norddeutschland fast unbekannten Kremser Schmidt, reichen ornamentalen Sculpturen und Vergoldungen macht einen Eindruck, der von dem, welchen der Dom hervorbringt, gänzlich verschieden ist und den ich kaum anders als durch ein Gleichniß auszudrücken vermag. Stellen wir uns beide Gebäude als Personificationen einer Gottheit nach der individualisirenden Ansicht des Heidenthums vor, so ist der Dom eine außerordentlich erhabene Gottheit auf unerreichbar hohem Throne, das Haupt in den Wolken bergend, die Hände in betrachtender Ruhe auf der Brust gefaltet. Die Stiftskirche zu St. Peter aber repräsentirt die Gottheit, die, von ihrem Throne herabgestiegen, unter den Menschen sich niederläßt und ihnen mit liebreichem Blick die helfenden Hände mild und freundlich zur dankbaren Verehrung darbietet und es sich gefallen läßt, daß 39 sie dieselben küssen, daß sie ihr Haupt mit Blumen, ihre Schultern mit Prachtgewändern, ihre Arme mit Schmuck verzieren, die aber auch nicht die bunten Feldblumen, die kleinen Kerzen der Armuth von sich weiset. Im Dome sahen wir die Beter meist an der Eingangspforte oder in den Betstühlen, aber nie in solcher Anzahl knieen, wie vor den Altären von St. Peter und den anderen, in gleichem Style geschmückten Kirchen. Es ist allerdings wahr, daß diese Kirchen den Kunstfreunden, die an den griechischen oder den reingothischen Styl gewöhnt sind, durchaus für geschmacklos gelten, daß die weiß glasirten Wolken, die lebensfrischen, oft schelmischen Engel, die auf denselben lustig sich tummeln und mit den Marterwerkzeugen der Heiligen kindische Spiele treiben, die oft in weltlicher Schönheit erblühenden und rosig lächelnden Madonnen, die vornehm, aber gnädig blickenden Bischöfe und Aebte, die ritterlichen heiligen Helden St. Georg und Moritz, die glänzenden Farben ihrer Gewänder, namentlich das metallglänzende Roth, Blau und Grün an den reichverzierten Säulen einem norddeutschen Rationalisten, der Schuld und Verdienst entweder mit dem Apothekergewicht abmißt oder keines von beiden anerkennt, gar seltsam vorkommen mögen. Wer aber es gesehen hat, wie in später Abendstunde greise Männer, wie würdige Matronen, Männer in der Blüthe der Kraft, wie zarte Jungfrauen, elegante Jünglinge, wie lebensfrische Knaben 40 vor diesen Altären knieen und in stiller Andacht ihre Bitten, wie ihren Dank dem Unsterblichen darbringen, der begreift am Ende wohl die Fülle von Farben und Schmuck jeder Art, die diesen Gotteshäusern eigenthümlich sind. Dieser Schmuck aber ist ein Ausfluß der Fülle des reichen Gemüthes, der Liebe und des Wohlwollens, das schon in den weichen Dialekten des Oesterreichers so wohlthätig sich uns kund giebt. Ich möchte diesen Kirchenstyl vorzugsweise den österreichischen nennen, der mit allen übrigen Culturerscheinungen dieses reichbegabten Landes in Einklang steht.
Wir wendeten unsere Aufmerksamkeit den Einzelheiten zu, den großen Wandgemälden von C. Schwarz und Solari mit reicher Scenerie und kräftiger Färbung, dem im 15. Jahrhundert errichteten Grabe des heiligen Rupertus, vor Allem aber einem schönen Madonnenbilde in blauem, mit goldenen Lilien besäeten Kleide, das gewiß dem 15. Jahrhundert angehört. An Grabdenkmalen zeichnet sich das des genialen Michael Haydn aus, das seine Freunde ihm setzten. Interessant ist die aus rothem Marmor errichtete Tumba des Vaters des unglücklichen Bischofs Wolf Dietrich. Sie trägt die Inschrift: »Hier liegt begraben der edl und gestreng Herr, Herr Johann Werner von Reithenau zu Langenstein, Ritter und Landsknechtoberster, welcher da starb in Crobaten wider den Erbfeind, als man zalt 1593 Jahr.«
41Wir hatten nun die Absicht, die Büchersammlung des Stiftes in Augenschein zu nehmen, allein die Zeit war schon zu weit vorgerückt, und der Vorsteher derselben bereits ausgegangen.
Wir begaben uns daher nach Hause, nahmen Mantel und Mütze und schritten über die Brücke dem Capuzinerberge zu, der ehedem wegen seines Reichthums an Bienen der Imberg genannt wurde. Der Berg, Kalkfels, senkt sich nach der Salzach zu steil ab; er ist mit Buchen und Lerchenbäumen besetzt. Auf einer hölzernen Stiege gelangt man an die Stationen, unter denen der Calvarienberg von Franz Hitzl sich durch edle Haltung auszeichnet. Wir schritten sodann durch den, heute freilich regentriefenden Buchenhain dem Gipfel des Berges zu und gelangten so, wieder abwärts steigend, zu dem Francisci-Schlössel, welches Erzbischof Paris von Lodron im Jahre 1629 zum Schutze der Stadt angelegt hat. Es ist eine kleine, nette, am steilen Abhange gelegene Citadelle, in die wir eintraten. Wir fanden in der Wirthstube freundliche Aufnahme und Bewirthung mit österreichischem Wein und hatten von hier aus Gelegenheit, dem Treiben der Wolken gemächlich zuzuschauen, die an dem Gaisberge und in dem Salzachthale die seltsamsten Gestalten bildeten. Namentlich zog sich am Gaisberge eine Wolkenmasse hin, die vollkommen einer dichten Tafel Baumwollenwatte glich, an der von unsichtbaren Händen 42 lange Zipfel bald abgezogen und ausgedehnt, bald wieder angefügt wurden. Um das Haupt des Unterberges fanden ähnliche Spiele statt, die, nimmer rastend, jeden Augenblick andere Formen hervorbrachten.
Im Regen, wie wir gekommen, schieden wir auch von dieser Höhe und trafen im Dunkel in unserer Wohnung ein. Die Mäntel wurden aufgehängt, die Kleider gewechselt, und wir begaben uns auf das nahegelegene Rathhaus, wo allabendlich die Mitglieder der Versammlung zusammenkamen. Wir hatten das Glück, Seine K. K. Hoheit den Erzherzog hier zu finden und uns ihm vorstellen zu dürfen. Der Erzherzog ist eine jener kräftigen, mittelgroßen Gestalten, die das Alter nicht zu beugen vermag, von gerader, fester Haltung. Seine ernsten Gesichtszüge zeigen Wohlwollen und tiefen Verstand. Sie sind vorzüglich glücklich und treu in dem Bilde wiedergegeben, das vor dem Album der 14. Versammlung sich findet. Die Bewegungen des Prinzen sind einfach und ungezwungen. Im Gespräch zeigte er eine gründliche Kenntniß des sächsischen Bergbaues, und seine Mittheilungen über den österreichischen, namentlich über die steier’schen Eisenwerke und den Gasteiner Goldbergbau, waren uns sehr belehrend.
Die sehr vorgeschrittene Zeit und die auf die Bergwanderung folgende Müdigkeit mahnten an den Heimweg.
43Gestärkt von dem ununterbrochenen Schlafe begaben wir uns Mittwoch am 3. September bei Zeiten abermals in das Benediktinerstift St. Peter. Wir schritten den mit byzantinischen Säulen und einigen Heiligenbildern verzierten Kreuzgang entlang und stiegen dann die stattliche Treppe hinan bis an die Thür, welche die Inschrift: P. GREGORIVS trug. Der Diener, der uns empfangen, öffnete, und uns nahm der Bibliothekar des Stiftes Herr Pater Gregorius Ramer mit kollegialischer Herzlichkeit auf. Er trug den langen schwarzen, mit gleichfarbiger Binde gegürteten Talar und das Scapulier, welches Rücken und Brust bedeckte. Er führte uns sogleich in die Bibliothek, die in sieben hinter einander liegenden ansehnlichen Zimmern, Kammern, mit gemalten Decken, aufgestellt ist. Drei Seiten jedes Zimmers enthalten die bis an die Decke reichenden Repositorien, die Fensterseite ist mit Tischen zum Auflegen der Bücher versehen. Der College zeigte uns zunächst die Handschriften, die allerdings meist theologischen Inhalts sind. Vorerst nahm eine wohlerhaltene Vulgata aus dem 12. Jahrhundert unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie besteht aus sechs Bänden. Dann sahen wir ein Evangelium des 11. Jahrhunderts mit reichen Miniaturen. Der Glanzpunkt der Bibliothek ist jedoch ein Antiphonarium, welches dem 10. Jahrhundert angehört und mit trefflich erhaltenen Miniaturen und Arabesken versehen ist. Es 44 fehlte weder an den eleganten Handschriften des 15. Jahrhunderts, die in Florenz geschrieben waren, noch an jenen großen Missalien, die mit Miniaturen, besonders Initialen geschmückt sind. Der Herr Bibliothekar erzählte, wie es nicht an mehrfachen Anträgen britischer Curiositätensammler gefehlt habe, welche dem Stifte jene literarischen Seltenheiten hätten abkaufen wollen.
Pater Gregorius ist der Verfasser eines brauchbaren Katalogs der Bibliothek und zeigte sich überhaupt als gelehrten und kenntnißreichen Bibliophilen. Auch hier hatte ich jedoch abermals Gelegenheit zu bemerken, wie wenig unsere norddeutsche Literatur sich bis jetzt nach Süddeutschland Bahn gebrochen hat. Selbst allgemein bei uns verbreitete Werke, wie Pierer’s Universallexikon, sind hier unbekannt. Dagegen muß ich aber auch bemerken, daß uns die süddeutsche, namentlich historische Literatur in der Regel auch fremder bleibt, als sie es in der That verdient.
Pater Gregorius Ramer berichtete noch über den Zustand der geistlichen Stifter, ja der gesammten Geistlichkeit Oesterreichs während der verhängnißvollen Jahre 1848 und 1849. Die Geistlichen, namentlich die Klostergeistlichen, konnten es kaum wagen, in ihrer Amtstracht über die Straße zu gehen, ohne sich den gröbsten Beleidigungen auszusetzen. Sie mußten oft hinter sich Schimpfworte vernehmen, und man zeigte von Seiten der Demokratie 45 nicht übel Lust, über die Stifter herzufallen und sich in den Besitz derselben zu setzen.
Unser neuer Freund machte uns dann noch auf die byzantinischen Säulen aufmerksam, die sich noch hie und da in dem, einen geräumigen Garten umschließenden Kreuzgange und in der Pförtnerstube befinden, sowie auf die alten Grabsteine, die in den Fußboden eingelassen sind. Die meisten sind freilich durch die Füße der Darüberhinschreitenden abgeschliffen, viele aber auch in früherer Zeit gewaltsam ausgebrochen und zerstört worden.
Nachdem uns Pater Gregorius eingeladen, morgen den Schatz zu betrachten, begaben wir uns nach dem Collegiumsplatze und erwarben für meine Sammlung einen sauber gestickten tyroler Gürtel. Dann aber schritten wir über die Brücke, um Kirche und Kirchhof zu St. Sebastian in Augenschein zu nehmen. Wir traten ein und fanden einen hellen freien Raum von mäßiger Ausdehnung, 103 Fuß Länge auf 73 Fuß Breite, mit wenigen Sculpturen und einfachen Ornamenten. Die Kirche brannte nämlich am 30. April 1830 ab und wurde am 5. Juni 1831 bereits wieder eingeweiht.
In der Vorhalle ist das Grabmal des berühmten Theophrastus Paracelsus von Hohenheim, der am 24. September 1541 in Salzburg starb und zwar im Wirthshause zum weißen Roß im Kay. Das Denkmal, welches 46 den Schädel des gelehrten Sonderlings enthält, ist eine stattliche Pyramide aus weißem Marmor, die mit der Büste desselben geschmückt ist.
Von hier aus steigt man zu dem ansehnlichen Friedhofe herab, der ein Viereck von 220 Schritt Breite und 260 Schritt Länge bildet. Er ist ganz mit Mauern umgeben, an welche sich die mit Denkmalen reich geschmückten Arkaden anlehnen. In der Mitte steht die Gabrielkapelle, in welcher Erzbischof Wolf Dietrich ruht. Wir begannen die Betrachtung der einzelnen Denkmale. Viele derselben sind mit größeren Oelbildern versehen, unter denen sich eine am Kreuze zusammengesunkene Madonna auszeichnet. Auch hier sahen wir viele Portraits der Bestatteten. Bedeutender sind indessen die Marmordenkmale; vorzüglich ist die Büste von Gasparelli, ein Relief mit der Anbetung der drei Könige, das Portrait von Michael Pabbargiesar vom Jahre 1581, mit dessen unter dem Kreuze knieender Familie. In der Ecke sieht man die Darstellung des Fegefeuers, dessen Flammen den armen Seelen bis an die Brust reichen. Das Obertheil dieses Bildes zeigt uns St. Sebastian, der die auf eine Weltkugel gemalte Stadt Salzburg dem Herrn empfiehlt. Weiterhin befindet sich ein aus Kalksinter gebildetes Grottenwerk, das ein mit bunten Figuren gefülltes heiliges Grab umschließt. Auf der Gruft des Kurz von Goldstein ist eine interessante Darstellung des Todes, der als 47 eine überaus abgezehrte Figur eines Greises erscheint. Sehr geschmackvoll und edel ist das Grabmal des 1847 verstorbenen Malers Sattler; es ist ein Marmorrelief, zu dessen beiden Seiten der ritterliche St. Georg und der pilgerartige St. Michael aufgestellt sind. In einer Ecke des Kreuzganges bemerkten wir hinter einem Gitter die Gestalt des heiligen Sebastian, umhüllt mit einem rothen, golddurchwirkten Mantel; außen waren ex voto Glieder aus Wachs und Namentafeln angebracht. An dem Grabe des Sigismund von Rubianich bemerkte man das stattliche Oelbild des genannten heilig gesprochenen Königes, nicht weit davon die Marmorbüste des Architekten E. Castello von ganz vorzüglicher Arbeit. Er erbaute die Grabkapelle des Erzbischofs Wolf Dietrich und starb 1608 im 30. Jahre seines Alters. Wir bemerkten auch hier überall die sorgsamste Pflege der Gräber und deren Ausschmückung mit frischen Blumen.
Wir kehrten nun nach der anderen Seite der Stadt zurück. Es begegneten uns zahlreiche Wagen, die mit Rindern bespannt waren, welche mit der Stirn die Last zogen. Der Fuhrmann schritt, einen Regenschirm, meist von rother Farbe, über sich haltend, daneben her.
Von da begaben wir uns nach unserem Stiftskeller, wo eine ziemliche Anzahl Leute, darunter auch Benediktiner, beisammen waren, die von dem lahmen Wirth von halber Stunde zu halber Stunde mit einer Prise Tabak 48 erfrischt wurden. Der Wein wird in großen Halbkannengläsern aufgetragen und zu jedem eine Flasche Wasser geliefert. Man erkennt den Oesterreicher daran, daß er, ehe er dem Weine Wasser zugießt, aus der Flasche ein wenig an den Boden schleudert. Der Oesterreicher trinkt den Wein nie ohne Wasser, und wie wir im Verlaufe der Reise bemerkten, er trinkt überhaupt wenig, selten mehr als ein Seidel. Desto mehr leistet er im Essen, wo ihm allerdings die Vortrefflichkeit seines Rindfleisches, seiner Gemüse und die Mannigfaltigkeit seiner Küche Anlaß bietet. Im Allgemeinen sind die Speisen in Oesterreich sehr wenig gewürzt, und wir waren stets genöthigt, mit Salz nachzuhelfen.
Nachdem wir hierauf zu Hause das Gesehene aufgeschrieben und ein Stündchen der Ruhe gepflegt, traten wir in der festen Hoffnung auf Besserung von Seiten des Wetters unsere Wanderung nach dem Birgelsteine an, wo die daselbst ausgegrabenen römischen Alterthümer aufgestellt sind. Wir schritten über die Brücke und wendeten uns dann rechts, wo die senkrechten Felsen des Capuzinerberges und die Häuser eine enge Gasse bilden. Wir schritten durch das Steinthor in die Vorstadt Stein, die eigentlich nur aus einer Gasse besteht, in welcher Weber, Schuhmacher, kleine Gastwirthe wohnen. Aus der Ferne traten uns, zum ersten Male während unseres Aufenthaltes in Salzburg, die Alpen im Sonnenglanze 49 entgegen. Die violetten Berge waren mit hellglänzenden weißen Partieen bedeckt, die jedoch von Zeit zu Zeit hinter die ziehenden Wolken zurücktraten, die auch diesmal den breiten Gipfel des Untersberges umspielten, während die hellgrünen Matten seines Fußes von der Sonne bestrahlt wurden.
Wir nahten uns einem modernen Gebäude mit Gartenanlagen, das an seinem Thorwege die Inschrift: »Römische Alterthümer« trug, traten ein, wurden in den zweiten Stock gewiesen, vernahmen jedoch, daß der Custos noch nicht angekommen. Wir begaben uns daher in den nahe gelegenen Bräugarten Hoenegger’s, der eine prächtige Aussicht auf die Alpen und die Stadt darbot. Die Wirthin brachte Bier in steinernen Krügen und klagte sehr über das anhaltend ungünstige Wetter. Endlich gelangten wir zu dem Anblick der Alterthümer, die in zwei Zimmern zu bequemer Ansicht aufgestellt sind und welche ein altes Männchen beaufsichtigt. Zunächst betrachteten wir zwei wohlerhaltene, unter Glas hingestreckte Gerippe von ansehnlicher Größe, dann die zahlreichen Urnen, die aus gebranntem Thon und Glas von der bekannten Form. Daneben sah man mehrere Urnen, die aus der hier brechenden Breccie ziemlich roh gearbeitet und zum Theil mit Gebeinen gefüllt waren. Von feineren Gefäßen war wenig vorhanden, mit Ausnahme einer ganz dünnen schwarzen, kleinen Urne. Die Lampen waren 50 zahlreich, ebenso die Münzsammlung. Wir sahen ferner eine ziemliche Menge Tauben, Hähne, Hunde, offenbar nach den bekannten Molossenstatuen von Florenz, Katzen, Portraitbüsten in kleinem Format mit dem mannigfaltigen Kopfputz der Kaiserzeit, durchgehends aus gebranntem Thon, dann auch eine kleine thönerne Nachbildung des bekannten sitzenden Hirtenknaben, der sich einen Dorn aus dem Fuße zieht. Besonders interessant war ein rothgelbes Thonziegelbruchstück, auf welchem ein Adler in der heraldischen Form, etwa wie der preußische auf den Münzen und Siegeln, in Relief dargestellt war. Auffallend war der Mangel an Bronzen, die sich lediglich auf ein Paar Brusthafte beschränkten, welche nicht eben sonderlich erhalten waren. Desto ansehnlicher war die Menge von Eisenzeug, unter welchem mehrere Garnituren von Dittrichen, Messerklingen, Nägel und andere dem gemeinen Leben angehörige Bruchstücke sich befanden. Der Mangel an Bronzen und interessanteren Dingen wird dadurch erklärt, daß die früheren Besitzer des Birgelsteins ganze größere Partieen davon verkauft haben, Anderes aber an das städtische Museum abgegeben worden ist, auch Einiges von hier an das kaiserliche Antikencabinet nach Wien gesandt wurde.
Wir verließen die Sammlung und kehrten über die Brücke nach dem Griesgraben zurück, um das städtische Museum in Augenschein zu nehmen. Zunächst aber betrachteten 51 wir die auf dem stattlichen Brunnen aufgestellte, von der Zeit dunkel gefärbte lebensgroße Statue des wilden Mannes, die lebhaft an die kleinen Bronzestatuetten erinnert, welche in deutschen und nordischen Sammlungen mehrfach vorkommen. Die Statue zeigt uns einen behaarten, bärtigen und bekränzten Mann, der mit der Rechten sich auf eine Keule stützt. Die Gestalt erscheint auch mehrfach auf deutschen Wappen, z. B. dem preußischen, als Schildhalter, dann selbständig auf mannsfeldischen, darnach sogenannten Wildmannsthalern, als Wirthshausschild, ferner in den Fastnachtspielen und Mummereien des 16. und 17. Jahrhunderts als beliebte Charaktermaske. In der Volkssage tritt der wilde Mann als Bewohner der Wälder, als Schrat auf, in dem Latein des Mittelalters als Satyrus und Pilosus.
Wir begaben uns nun nach dem städtischen Museum, das in mehreren gewölbten Sälen sicher untergebracht ist. Hier wurde ich auf das Angenehmste durch eine Fülle der interessantesten Gegenstände überrascht, welche der Patriotismus und die davon unzertrennbare Achtung für die Vorzeit zusammengebracht hatte. Der Custos dieser Sachen nahm uns freundlich auf, und wir gaben uns der Betrachtung behaglich hin.
Der erste Saal des Museums enthält die Waffen, alterthümlichen Geräthe, mittelalterlichen Denkmale in Stein, die Fahnen der Landesfürsten und der Stadt. 52 Unter den Waffen bemerkten wir Hellebarden und Flamberge, halbe und ganze Rüstungen, Schwerter und Luntenflinten des 16. und 17. Jahrhunderts, die lederne Rüstung für das Hintertheil des Pferdes und die gewaltigen Stiefeln des Anführers der aufrührerischen Bauern, Mathias Stöckl, sowie eine hölzerne Kanone desselben. In einem besonderen Kasten befand sich ein ganzer Scharfrichter-Apparat, namentlich Stricke, Brandzeichengeräth, ein sinnreich construirter Maulkorb für schmähsüchtige Weiber, der die Gestalt einer Maske hatte, Richtschwerter, die bekanntlich zweischneidig und ohne Spitze sind. Das eine derselben, dem 17. Jahrhundert angehörig, hatte die Inschrift: wer was findet, eh’ daß es verloren, etwas kauft, eh’ daß es feil ist, der stirbt, eh’ daß er krank wird. In demselben Kasten lag ein Quartband, der die amtlichen Memoiren des Scharfrichters Franz Johann Wohlmuth enthielt, die im Jahre 1761 geschlossen waren. Der Meister hatte 226 Hinrichtungen und peinliche Arbeiten gewissenhaft verzeichnet.
Man sah in demselben Saale den Legaten- und Cardinalhut des bekannten Bischofs Lang, einen fein geschnitzten Bischofstuhl aus Holz von Lungau, der dem 14. Jahrhunderte angehörte, eine aus derselben Zeit stammende steinerne Handmühle, große Thongefäße für Aufbewahrung von Oel und Essig. 53
In dem zweiten Saale waren zahlreiche Modelle salzburger Gebäude und die Sammlung der Gemälde von salzburgischen Künstlern aufgestellt. Das dritte enthielt die Bibliothek mit den Urkunden und Siegeln, sowie einige Büsten, den Abguß des Schädels von Paracelsus u. s. w.
Im vierten Zimmer waren die römischen Alterthümer vereinigt, die weniger Umfang haben, nämlich die gebrannten Erden und die Bronzen, dann aber auch die auf dem Mozartplatze ausgehobenen Mosaiken, nebst einem überaus niedlich gearbeiteten Modell von der Ausgrabung. Als ich mich davon umwendete, stockte mir geradezu der Athem in der Brust vor freudiger Ueberraschung. Ich sah einen mit dem edelsten dunkelgrünen Roste bedeckten Bronzehelm; der Kopf und der Kamm waren aus zwei getriebenen Theilen zusammengenietet, und die Wangenschienen ebenfalls vorhanden. Dieses kostbare, offenbar vorrömische, aber prachtvoll erhaltene Waffenstück ist unstreitig die Krone der ganzen Alterthümersammlungen des Kronlandes Salzburg. Es wurde vor Kurzem in dem Paß Lueg bei Golling entdeckt. Außerdem befanden sich hier noch zwei schöne Bronzeschwerter, mehrere Cameen, Pfeilspitzen und ein langes gekrümmtes Bronzemesser.
Die in einem geräumigen Seitenzimmer aufbewahrte Naturaliensammlung des salzburgischen Landes konnte nur flüchtig betrachtet werden, da die 54 Zeit bereits sehr vorgerückt war, auch die in einem Parterregewölbe aufgestellten römischen Sarkophage, Grab-, Meilen- und Altarsteine in Augenschein genommen werden mußten. Der eine Grabstein zeichnete sich durch schöne Arbeit aus. Sämmtliche Römersteine sind durch Professor von Hefner in München (römische Denkmäler Salzburgs, Wien 1849) bekannt gemacht worden.
Das Museum ist vor 16 Jahren von dem jetzigen Vorstand des Mons pietatis, des Leihhauses, Herrn von Süß, begonnen und durch seine unablässige Sorgfalt auf den gegenwärtigen Stand gebracht worden. Er hat sich zu diesem Zwecke mit mehreren Gleichgesinnten in Verbindung gesetzt, die Unterstützung und Beihülfe der Behörden in Anspruch genommen und neuerdings die Anstalt unter den Schirm der verwittweten Kaiserin Mutter Majestät gestellt, weshalb sie auch den Namen ihrer erlauchtesten Beschützerin als Carolino-Augusteum trägt.
Wir begaben uns nun nach der Reitbahn, wo die Landleute ihre Pferde ausgestellt hatten, und die Preisschau stattfand. Wir sahen sehr große, starke und fette Pferde, die jedoch nicht die Grazie der norddeutschen hatten, obschon sie denselben an Kraft und Ausdauer überlegen seyn mögen. Dann aber gingen wir nach dem Posilipp von Salzburg, einer jener großartigen und 55 bewunderungswürdigen Werke, welche die Erzbischöfe von Salzburg so gern ausführten.
Der Mönchsberg, der parallel mit der Salzach hinläuft, besteht aus Breccie und trennt die Stadt von der fruchtbaren Ebene nach dem Untersberg hin; von dort aus konnte man nur durch einen Umweg nach Salzburg gelangen. Da faßte Erzbischof Sigismund von Schrattenbech den Plan, den Berg zu durchbrechen. Nach reiflicher Prüfung schritt man am 15. Mai 1765 unter der Direction des Ingenieur-Majors Johann Elias von Geyer unter der Werkführung des David Zimmermann aus Eisleben ans Werk. Die Arbeit währte nur zwei Jahre und kostete kaum an 20000 Gulden. Am 15. Nov. 1767 wurde der Durchgang eröffnet. Wir traten nun an das Thor, über dessen Oeffnung die Büste des Erzbischofes und die sinnreiche Inschrift: Te saxa loquuntur zu sehen ist. Die Länge des Thores beträgt 415 Fuß, die Breite 22 und die Höhe 40 Fuß. Es gewährt einen freundlicheren Anblick als der Posilipp, der allerdings 1000 Fuß lang, 80-90 Fuß hoch und 24-30 Fuß breit ist, aber mehr von der Natur als von Menschenhänden gearbeitet zu seyn das Ansehen hat. Das Sigismundthor ist im Spitzbogenstyl ausgemeiselt, die Wände, an denen die Schichtung des Felsens deutlich hervortritt, sind abgeglättet. Auf der Außenseite erheben sich zwei, aus dem anstehenden Gestein ausgehauene Obelisken. 56 Ueber dem Thore aber steht die 16 Fuß hohe Statue des Königs Sigismund in voller Rüstung, umgeben von Waffenstücken, gearbeitet im Jahre 1768 von W. Hagenauer.
Wir durchschritten einige Mal das colossale Werk und musterten sodann einen nahe dabei befindlichen Geschiebehaufen, der für unsere Sammlungen manches Interessante, namentlich buntfarbigen Marmor und einen wasserhellen eiförmigen Bergkrystall darbot.
Wir schlenderten nun gemächlich durch die Straßen, freuten uns der rothmarmornen Fensterauslagen der Bäder und der Fleischer, die vor ihren Verkaufsstellen ungeheuere Holzblöcke zum Zerhauen des Fleisches haben. Solche Wanderungen durch die Straßen und die Lectüre der Aushängeschilde gehören zu den kleinen Freuden der Reisenden und gewähren nach größeren, oft anstrengenden Anschauungen eine eben so belehrende als erheiternde Erholung. Jedes Land hat seine Eigenthümlichkeiten, namentlich in Benennung der verschiedenen Gewerke. Hier in Salzburg fanden wir z. B. bürgerliche Maler, Pechbrocker, Lebzelter, Hutstepper, Bindermeister, Tandler, eine Pfindlerei, u. s. w.
Wir landeten endlich im Stiftskeller zu St. Peter, um durch Rostbratel und Grinzinger unsere Kräfte zu ergänzen, und fanden diesmal viel Norddeutsche, von denen der Eine seine Unzufriedenheit mit dem österreichischen 57 Weine gar nicht verbergen konnte. Es war ihm unbegreiflich, daß derselbe anders schmecke als Rheinwein, Moseler und Chateau Lafitte. Denselben, übrigens kenntnißreichen Mann traf ich nachher auf dem Rathhause, wo er mit der Methode eines Inquisitionsbeamten einen bairischen Landwirth über sein Verfahren bei landwirthschaftlichen Geschäften examinirte. Der ehrliche Baier erklärte endlich, ärgerlich über das Fragen und Besserwissen des nordischen Landsmanns, er habe es immer so gemacht, müsse sich nach Umständen richten und werde sein Lebtage auch dabei bleiben.
Donnerstag, den 4. Sept. begaben wir uns bei früher Tageszeit nach dem städtischen Museum, um in das Einzelne mancher Abtheilung genauer einzudringen. Zunächst besahen wir die aus rothem Marmor gefertigten, etwa 4 Fuß hohen Statuen, die nach dem Brande der Domkirche im Jahre 1598 abgehoben und als Mauersteine verwendet worden waren. Wir betrachteten ferner die stattlichen, 7 Fuß langen bronzenen Kanonen, die im Jahre 1565 Hans Löffler für den Erzbischof Johann Jacob gegossen, sowie einen uralten eisernen Mörser; dann die 9 Ellen langen Spieße, welche die Lanzenknechte noch zu Anfang des dreißigjährigen Krieges führten, und die Bauernwaffen aus den Zeiten der Aufstände. Interessant war eine aus graurothem salzburger Marmor gearbeitete Kette von 6 Gliedern, deren jedes 7½ Zoll lang, 58 6 Zoll breit ist und über einen Zoll Dicke hat, eine Arbeit, die freilich nicht mit der 29 Fuß langen steinernen Kette zu vergleichen ist, welche die Thorpfeiler der Pagode von Schalembrom (s. m. Culturgeschichte VII. 469) in Indien verbanden.
Ich wendete mich nun vorzugsweise der Betrachtung der Gemälde und Zeichnungen salzburgischer Meister zu. Unter den Oelbildern sprach mich durch außerordentliche Naturwahrheit das Portrait einer alten Dame besonders an, die von dem ums Jahr 1736 blühenden Franz Anton Ebner ausgeführt worden ist, der auch die Pferde an der Hinterwand der Pferdeschwemme, außerdem aber viele Kirchenbilder gemalt hat. Nicht minder naturgetreu ist der Kopf eines alten Mannes von Stief. Wir sahen ferner die Portraits von W. A. Mozart und seiner Frau. Der unsterbliche Meister erscheint in jugendlicher Schönheit in einem weißen Rock mit gepudertem Haar. Von Fr. X. Hornöck ist das überaus kräftig gehaltene Portrait eines Landmannes vorhanden. Hornöck war 1731 zu Schönau in Niederbaiern geboren und lebte seit 1805 als Portrait- und Kirchenmaler in Salzburg, wo noch viele seiner Werke vorhanden sind. Von dem fruchtbaren Anton Enzinger, der um 1750 in Salzburg noch lebte, sieht man ein prachtvolles Thierstück. Von Nesselthaler findet sich eine liebliche, wenn auch etwas selbstbewußte Madonna, von Nickhl ein Violinspieler in breiter, kräftiger 59 italienischer Weise. Ansprechend ist die Darstellung eines Gemsbocks, der folgende Unterschrift trägt: »In dieser Größe Gegenwartiger Gamsbock ist ano 1735 den 7. Nov. ungefehr in Capucinerberg gefunden und von ihro Excellentz Herrn Ladantio, Freyherr von Firmian Hochfürstlicher Obrist Jägermeister in Salzburg mit einer Kugel gefället worden.«
Außer diesen Bildern findet man noch manche für die Geschichte des Landes interessante Portraits, Ansichten und Scenen. So ist vorhanden das Bild des Bauernanführers Matthias Stöckl, wie er an der hölzernen Kanone steht, dann die Ansicht seines noch vorhandenen Geburtshauses, ferner das Portrait des Paracelsus, sowie auch einige Glasgemälde.
Auf den Tischen des zweiten Zimmers sind Oelskizzen und Handzeichnungen salzburgischer Künstler in Mappen ausgelegt. Darunter ist ein Heft mit 20 kostbaren Federzeichnungen des Italieners Spretti, italienisches Bettelvolk darstellend, worunter eine alte Katzenpflegerin, die ich anderwärts als das Werk eines modernen Künstlers gesehen und bewundert habe. Sehr geniale Oelskizzen von Anton Reiffensturl enthält eine andere Mappe. Es sind durchgehends Alpengegenden. Ein Heft von Franz Anton Danreiter, der am 17. Febr. 1760 als Hofgärtner in Mirabel starb, bietet überaus saubere Federzeichnungen salzburger Ansichten dar. Von dem noch 60 lebenden Kunstmaler Petzold ist ein ganzer Band in Sepia ausgeführter Darstellungen aus der Umgegend von Salzburg vorhanden.
Salzburg ist nun allerdings ein Ort, der dem bildenden Künstler fortwährende Anregung bieten mußte, zumal als die Stadt noch der Sitz kunstfördernder geistlicher Fürsten war. Die Erzbischöfe ließen es sich angelegen seyn, die von ihnen erbauten Kirchen auf würdige Art auszuschmücken. Dann ließen sie ihre Residenz durch Kunstwerke verschönern. So rief Erzbischof Hieronymus Graf von Colloredo im Jahre 1789 den kunstreichen Andreas Nesselthaler an seinen Hof, um sich von ihm ein enkaustisches Cabinet malen zu lassen. Die Enkaustik bewegte damals alle Kunstfreunde. Nesselthaler malte binnen drei Jahren 57 enkaustische Bilder und erwarb sich den Dank seines Fürsten in dem Grade, daß dieser ihn zum Truchseß, Hofmaler und Galerieinspector ernannte.
Nachdem wir die Gemälde und Zeichnungen betrachtet, traten wir in die Naturaliensammlung. Die geognostische und oryktologische Sammlung ist noch nicht aufgestellt, es müssen dazu erst geeignete Schränke herbeigeschafft werden. Gleichermaßen steht es mit den botanischen Abtheilungen. Doch ist für beide Zweige bereits vieler Stoff vorhanden, namentlich was die Salze und Marmorarten betrifft. Eine reiche Sammlung inländischer Schmetterlinge, 61 die in zweckmäßig eingerichteten und eleganten Schränken aufbewahrt wird, verdankt das Museum dem Cardinal-Erzbischof Fürsten von Schwarzenberg.
Von den Vögeln sind namentlich die Adler und Eulen wohl vertreten; unter den Säugethieren zeichneten sich eine sehr große, seltene Gemse und ein alter Steinbock aus. Die Gemse hat eine überaus zierliche Gestalt; der Steinbock dagegen ist im Verhältniß zu seinem gewaltigen Gehörn und zur Länge seines Körpers niedrig gestellt und hat daher ein etwas schwerfälliges und plumpes Ansehen.
Bei dem Eifer des Gründers und Ordners des Museums wird es nicht fehlen, daß dasselbe in wenigen Jahren einen hohen Grad von Vollständigkeit erreichen wird.
Wir begaben uns hierauf in den Stiftskeller, der auch diesmal überaus belebt war und wo wir fortan als Stammgäste von Wirth und Kellnern begrüßt wurden.
Wir traten sodann, nachdem wir diesmal Pater Gregorius nicht gefunden, in die Franziskanerkirche, in der Nähe der Pforte des Petersstiftes. Sie macht einen eigenen Eindruck; das Aeußere ist nämlich zum Theil im Spitzbogenstyl, ja das Portal aus rothem Marmor streift sogar an den Rundbogen. Das Innere dagegen ist ganz in dem heiteren Kirchenstyle des 17. Jahrhunderts mit reichen bunten Altären und Statuen. Die 9 Altäre tragen 62 Gemälde von Rothmayr, Freiherrn von Rosenbrunn, Hofmaler Leopolds I., Josephs I. und Karls VI., gestorben in Wien 1727, einem überaus fruchtbaren Künstler, dem Niederländer de Neve und dem Italiener Leander Bassano, die Beide in Salzburg mehrfach beschäftigt waren.
Nach der Mittagruhe begaben wir uns über den Residenzplatz durch das Cajetanerthor nach der Vorstadt Nonnburg; dem Wege folgend gelangten wir in einen Wirthsgarten, der uns die köstlichste Aussicht auf die Salzach, den Birgelstein und Gaisberg gewährte. Die Sonne trat von Zeit zu Zeit durch die Wolken und gestattete Blicke in die weitere Ferne. Von hier stiegen wir nun aufwärts durch schmale Gassen, von denen wir Einsicht in die tiefer gelegenen, überaus malerischen Theile der Stadt hatten. Wir gelangten an die Außenwerke der Festung, die hoch über die Gegend sich erhebt und mit Zinnen, Thürmen, Erkern reichlich geschmückt ist. Wir blieben jedoch auf dem Rücken des Mönchberges und sammelten Pflanzen und Gesteine, namentlich Breccie, aus der der ganze Berg besteht. Von hier aus sahen wir den Untersberg im Sonnenschein. Es giebt hier prächtige Bäume und Büsche und gar anmuthigen Wechsel gewährende Spaziergänge, die durch niedliche Thalgründe führen. Hier oben übten sich Trommler und Signalisten, während von dem Scheibenstand jenseits der Salzach die Schüsse der Festschützen kräftig drein krachten. 63
Wir stiegen, dem Pfade folgend, herab und gelangten so an die Augustinerkirche, in deren Inneres eine stattliche Treppe leitet. Sie ist klein und freundlich und bietet keine besonderen Merkwürdigkeiten dar. Wir kamen nun in die Vorstadt Mülln, wo der Felsen des Mönchberges steil abstürzend wiederum dichter an die Salzach herantritt. Hier befindet sich das Klausenthor und weiterhin das stattliche Urselinerinnenkloster. Am 16. Juli 1669 fand an dieser Stelle ein Bergsturz statt, welcher die früheren Klostergebäude, eine Kirche, ein Seminar und 13 Häuser zertrümmerte und 220 Menschen das Leben raubte.
An dem Ende des Klostergebäudes sieht man eine Eisenplatte mit dem Bilde eines Bären in die Mauer eingelassen, zum Andenken, daß eine Fluth im 14. Jahrhunderte an dieser Stelle einen im Hochlande heimischen Bären ans Land gespült habe. Nicht weit davon lasen wir folgende Inschrift:
Ao.
1571 den 30. Mai groß sterben Kham,
Vast alhier 2236 Persohnen weckhnamb
Bis ao.
72 den letsten Jenner wehren thet,
Allerley Volkhs man Mangel hett.
Groß Theurung war auch daneben,
Man thats Schaff Korn um 14 fl. geben;
Den Weitzen zu 17 fl. ohngewehr.
Das ist gwest den Armen schwer.
Des 72. Jars den 5 July krat
Von 3 Uhr frühe es geregnet hat
Bis dito siebenzig Stund,
An Aufhören; die Prugg stieß zu Grund
64
13 Häuser und Stadel verschwam
Salzburg, daß groß Schaden nam
und lof die Salz an so streng
da über diesen Stein ausging
Derowegen Heinrich und Andren
Bede Theren Gebrüdern
Zu ewiger Gedächtniß der Geschichten
Diesen Stein haben lassen aufrichten
1580.
Wir ließen uns sodann in einem einfachen Gasthof nieder, wo man uns ein vortreffliches Bier vorsetzte; dann aber begaben wir uns über die Brücke nach dem Schlosse Mirabella, der ehemaligen Sommerresidenz der Erzbischöfe. Am 30. April 1818 zerstörte ein furchtbarer Brand auch dieses Gebäude, 10 Jahre später war der neue Bau, gegenwärtig kaiserliches Lustschloß, vollendet. Die eine Seite stößt an den mit Springbrunnen und Marmorstatuen reich geschmückten Garten. Unter den Statuen zeichnen sich die Nachahmungen des belvederischen Apollo und der antiken Ballspieler aus. Die eine Seite des Schlosses ist auf den geräumigen, überaus anständigen Paradeplatz gerichtet. Wir schlenderten die Gasse entlang nach einem Platze, wo vor einem Hause Neugierige versammelt waren. In der Hausflur war ein mit rothen Kerzen umgebener Sarg aufgestellt. Verwandte und Freunde standen betend umher. Es versammelten sich Männer und Frauen in Alltagskleidung, dann kamen große Kreuzfahnen tragende Männer in schwarzen 65 Chorröcken, worüber Alben gezogen waren. Ferner erschienen Musikanten mit kurzen Posaunen und endlich drei Geistliche mit sechs Alumnen, Knaben in braunen Röcken mit rothen Kragen und Militärhüten. Jetzt gestaltete sich der Zug, die Musik begann, die Glocken läuteten, der Sarg ward auf die Schultern erhoben, und Fahnen- und Kerzenträger setzten sich in Bewegung. Wir begaben uns auf einem Nebenwege nach dem Sebastiankirchhofe, wo der Todte mit Gebet und Weihrauch bestattet wurde.
Diese feierliche Bestattung, welche die katholische Kirche auch dem Geringsten und Aermsten ihrer Mitglieder gewährt, muß für die Hinterlassenen etwas überaus Tröstendes und Beruhigendes haben. Wir im Norden haben auch diese Aeußerlichkeit aufgegeben, die aber für den Theil des Volkes, der äußerer Aufregung bedarf, von größter Bedeutung ist!
Wir schritten nun zum Linzerthor hinaus, da, wo sich die Befestigungen an den Capuzinerberg anlehnen. Ein angenehmer Baumgang führt um die Wälle nach der Schießstätte. In der Ferne glänzen die weißen, stattlich gethürmten Gebäude des Wallfahrtortes Maria-Plain und jenseits der Salzach die fernen Hochgebirge im Scheine der Abendsonne. Auf der Schießstätte war viel Leben. Alte und junge fröhliche Leute von Stadt und Land schossen, natürlich ohne Auflage, mit den schweren, kurzen 66 Stutzen nach den Scheiben, in deren Nähe zahlreiche bunte Fähnlein lustig wehten. Das Scheibenschießen ist aber bei den sämmtlichen süddeutschen Bergvölkern eine Nationalangelegenheit, und der geschickte und glückliche Schütze ehrt durch den Preis und die Fahne, die er gewonnen, die ganze Gemeinde.
Endlich aber traten wir den Rückweg an und gelangten über die prächtigen Plätze nach unserem Peterskeller, wo wir Bekannte fanden. Man zeigte uns Mispeln aus Tyrol von zwei Zoll Durchmesser, aber auch Weinbeeren, die von einer Krankheit befallen waren, die in einer Art Schimmelbildung auf der Oberfläche und einer Vertrocknung des Inneren besteht und die Landwirthe mit großer Besorgniß erfüllt.
Freitag, den 5. Septbr., begaben wir uns zeitig zu dem Gründer des städtischen Museums, dem Herrn Maria Vincenz Süß, Verwalter des städtischen, öffentlichen milden Leihhauses oder mons pietatis, das ein eigenes stattliches Gebäude einnimmt. Ich fand in ihm einen ebenso gefälligen und freundlichen, als kenntnißreichen Mann in den besten Jahren. Wir waren bald in dem interessantesten Gespräch, dessen wesentlichen Inhalt die Geschichte des städtischen Museums und ähnlicher derartiger Institute bildete. Wir vergegenwärtigten uns die Leiden und Freuden derartiger Bestrebungen und wandten uns sodann der Betrachtung seiner überaus vollständigen, auf Salzburg 67 bezüglichen Münz- und Medaillensammlung zu, die mit Kaiser Augustus, dem ersten legitimen Beherrscher Juvariens, beginnt. Interessant ist es, daß römische Münzen noch heutiges Tages im Handel und Wandel in Salzburg vorkommen. Der Landmann findet häufig auf seinem Felde römische Bronzemünzen und bringt sie dann als halbe oder Viertelkreuzer zu Markte, von wo aus sie erst nach mannichfachen Wanderungen von Hand zu Hand an die Münzfreunde gelangen. Unter den Medaillen bemerkte ich eine auf Paracelsus.
Von hier begab ich mich mit meinem bergmännischen Begleiter zu dem Director des Berg-, Salinen- und Forstwesens, Herrn Regierungsrath Albert Müller, dem ich durch einen Freund in Dresden besonders empfohlen war. Auch bei diesem überaus thätigen und eifrigen Beamten ward uns jene herzliche und zuvorkommende Aufnahme zu Theil, die dem Reisenden in Oesterreich so wohlthuend ist. Zuvörderst suchte er uns ein Bild von dem bergmännischen Betriebe der Salzwerke von Hallein durch Zeichnungen und Erläuterungen zu verschaffen, dann wandte sich das Gespräch auf allgemein technische Gegenstände. Er gab uns sodann ein Empfehlungsschreiben an das Bergamt zu Hallein mit.
Wir schritten hierauf nach dem St. Peterskloster, um die Beschauung der Schatzkammer des Benedictinerstiftes vorzunehmen, zu der uns Pater Gregorius 68 eingeladen hatte. Der Pater Thesaurarius führte uns über einen langen Corridor, zu einer mit gewaltigem Schloß versehenen Thür, nach deren Oeffnung wir über eine Treppe in den Raum gelangten, welcher in mehreren Schränken den Stiftschatz enthielt. Zunächst ward ein Schrank erschlossen, der ein großes silbernes, im 15. Jahrhunderte in Augsburg gearbeitetes Tabernakel bewahrt; daneben waren viele silberne Kreuze aufgestellt, sowie goldene, mit Edelsteinen reichbesetzte Kelche des 17. Jahrhunderts. Bemerkenswerth war einer derselben, der die Bilder von St. Vitus, Petrus und Benedictus trug und im Jahre 1691 aus Waschgold gearbeitet war. Bei Weitem interessantere Sachen bot der zweite Schrank dar, in welchem vorzugsweise die Infuln aufbewahrt werden. Man sah dabei treffliche Stickereien aus dem 17. Jahrhunderte, welche in den Frauenklöstern gefertigt wurden; einige sind mit Edelsteinen besetzt, und eine, vom Jahre 1494, ist in Perlen ausgeführt. Eine besondere bibliographische Merkwürdigkeit ist das hier ebenfalls bewahrte sogenannte Manuale des heiligen Rupert, ein mit der kleinsten Majuskel geschriebener Pergamentcodex von kaum anderthalb Geviertzoll, ein Meisterstück der Schreibkunst, das einer nähern Betrachtung wohl werth ist. Wir sahen hier ferner prachtvolle Altarkreuze, die mit Rubinen, Saphiren, Amethysten, Türkisen und Smaragden besetzt sind. Ein anderer Schrank bewahrte mehrere Abtstäbe, 69 deren Stiele aus Narwalzahn oder, wie man es früher nannte, aus Eichhorn besteht; ihr Obertheil ist kunstreich aus Silber gearbeitet. Einer der schönsten, ein ganz aus Silber gefertigter Abtstab von dem Jahre 1487, war in dem gothischen Spitzbogenstyle überaus sauber ausgeführt. Dabei sah man die Infuln und Casulen der Aebte des 6. und 7. Jahrhunderts von Seide, die bekanntlich Jahrhunderte lang der Zerstörung Trotz bietet. In einem kleineren Schranke befindet sich die buntgemalte und bekleidete Büste des heiligen Vitalis, welche eine reich mit Steinen besetzte Inful trägt. In der Brust war der einfache silberne Kelch des Heiligen mit der Patena, welche folgende Inschrift trägt: GAVDENT IN VITA HENRICVS SIRYVS ET ITA.
In den übrigen blau angestrichenen Schränken war noch eine große Anzahl von Monstranzen, Kreuzen, Heiligenbildern, Kelchen, Patenen, Leuchtern von Silber aufgestellt. Alles war überaus nett und sauber gehalten, auch die Zusammenstellung der Gegenstände mit Geschmack angeordnet. Man sah eben, daß diese Schätze noch heute dem Leben angehören und zur Verherrlichung des Gottesdienstes an den hohen Festen dienen.
Der Schatz des Domes von Halberstadt ist allerdings bei Weitem reicher an eigentlichen Alterthümern, namentlich an alten Reliquienbehältnissen in der Gestalt von Büsten, Aermen und Hörnern, an alten Meßgewändern 70 und Statuetten, dort werden aber diese Sachen seit dem 16. Jahrhundert gar nicht mehr gebraucht und nur aus Pietät noch aufbewahrt und als Alterthümer gezeigt. In den katholischen Ländern sind diese Kirchengeräthe durch den Gebrauch seit jener Zeit mehr abgenutzt worden. Sie mußten daher durch neue ergänzt und vermehrt werden. Daher findet man in den Schatzkammern der katholischen Stiftskirchen bei Weitem weniger Alterthümer als in denen der protestantisch gewordenen. Dazu kommt aber auch, daß in den verhängnißvollen Zeiten des 30jährigen Krieges, der Regierung Josephs II. und der Revolutions- und Napoleonkriege manches alte Stück, wenn es Metallwerth hatte, veräußert werden mußte.
Wir nahmen von dem guten freundlichen Pater Gregorius herzlichen Abschied und begaben uns zu Herrn Süß, der uns diesmal seine Medaillen zu näherer Betrachtung darbot. Am interessantesten waren hier die Arbeiten von Franz und Franz Xaver Matzenkopf, Vater und Sohn, Beides hochfürstlich salzburgische Prägschneider und Medailleure.
Von hier begaben wir uns nach dem St. Johannesspital, um das römische Bad in Augenschein zu nehmen, welches in einem der Höfe der Anstalt vor einiger Zeit dadurch entdeckt wurde, daß ein Lastwagen das Pflaster durchbrach. Das Bad gehört zu den vollkommen 71 erhaltenen. Es besteht aus einem Rundbau von 16 Fuß Höhe, zu dem 24 Stufen hinabführen, die in die Wand eingelassen sind. Es hat 11 Fuß Durchmesser und ist ganz aus der Sandsteinbreccie des Mönchberges aufgeführt. Der Badekessel hat vier Fuß im Durchmesser, kann also ganz bequem umgangen werden. In der Wand sind vier Nischen für die Aufbewahrung des Badegeräthes angebracht. Das Wasser war in Folge der anhaltenden Regengüsse über den Kessel herausgetreten, aber so klar, daß mein Begleiter erst die Anwesenheit desselben merkte, als er den Fuß von der letzten Treppenstufe setzte und den Kessel umgehen wollte.
Wir wanderten nun nach dem vor dem Sigismundthore befindlichen Platze, wo die Viehausstellung veranstaltet war. In Folge der Regengüsse war der Weg allerdings sehr übel zugerichtet, wir gelangten indessen glücklich an die überbauten Stände, wo die Thiere des Landes in langen Reihen aufgestellt waren.
Zunächst begaben wir uns zu den stattlichen Rindern, die gar zahlreich vertreten waren. Es waren außerordentlich große und wohlgenährte Thiere, dergleichen ich noch niemals gesehen. Sie standen gelassen an den Stangen und schienen nicht recht zu begreifen, was denn die vielen fremden Menschen hier vorhätten, die so theilnehmend ihre breiten Stirnen und glatten Flanken streichelten und sie hätschelten. Die Besitzer der Thiere, meist 72 von Weib und Kind begleitet, standen Auskunft gebend dabei; die meisten derselben kannten schon den Erfolg, den ihre Mühe gehabt. Von da wandten wir uns den Reihen der Rosse zu, unter denen Überaus starke und große Thiere vorhanden. Sie gehörten meist der kräftigen Rasse des Pinzgau an, der überhaupt unter den Gauen des Herzogthums Salzburg die meisten Pferde erzeugt. Das gesammte Kronland hat 11596 Pferde, der Pinzgau allein 4294. Das Pinzgauer oder norische Pferd ist unstreitig das ausgezeichnetste schwere Zugpferd des österreichischen Kaiserthumes. Seine durchschnittliche Höhe ist 16-17 Faust, und schon der Jährling mißt 14 Faust. Eigenthümlich ist demselben ein voluminöser, starker, reiner Knochenbau, eine meist dunkle Farbe, die Decke mit mächtiger Haarbildung an dem Scheitel, Kamm, Schweif und der Köthe, ein mäßig schwerer Gerader- oder Schlegelkopf, breite Gamasche und Kehlgang, ein breiter abgerundeter Kamm, ein breiter, kurzer Hals, bei dem Hengste nicht selten Speckhals, ein hoher abgerundeter Widerrüst, eine sehr breite, markirte Brust, ein tonnenförmiger, etwas gesenkter Rumpf, eine breite, massenhafte, gespaltene Kruppe, eine breite, schiefgelagerte Schulter mit gerade abfallenden Vorderfüßen, die Hinterfüße im Sprunggelenk etwas stark gebeugt, kurze Fessel, große, flache Hufe. Mit diesen Worten ist das Pinzgauer Pferd in dem Festalbum der 14. Versammlung deutscher Land- 73 und Forstwirthe geschildert, nächstdem aber auch daselbst auf zwei Tafeln charakteristisch abgebildet. Uns ergötzten namentlich die ebenfalls ausgestellten Fohlen, die über die vielen fremden Menschen sich zu freuen schienen und durch allerlei höchst ergötzliche und anmuthige Geberden ihre Verwunderung ausdrückten.
Von den übrigen Zugthieren bemerkten wir wenige, allerdings sehr große Schafe mit hängenden Ohren, einen stattlichen, der Hörner jedoch entbehrenden, weißen Ziegenbock und drei gewaltige Schweine.
Die Feierlichkeit der Preisvertheilung warteten wir nicht ab, sondern zogen es vor, die regenfreie Abendstunde zu einer näheren Betrachtung des stattlichen Sigismundthores und der Straßen zu benutzen. Unser Aufenthalt ging ja seinem Ende zu, und wir waren daher bemüht, durch immer wiederholten Besuch des Domes, der andern Kirchen, der öffentlichen Plätze, der Brücke die köstlichen Bilder uns möglichst fest einzuprägen. Es giebt in der That wenige Städte in Deutschland, die so schöne, anständige, ja vornehme öffentliche Plätze haben, wie eben Salzburg. Der Glanzpunkt der Stadt bleibt aber unstreitig der Dom mit den ihn umgebenden Palästen, Arkaden, Brunnen und Statuen. Minder imposant ist der eigentliche Marktplatz, der verhältnißmäßig schmal ist. Auch die zwischen demselben und dem Rathhause gelegenen Gassen sind meist eng und wegen 74 der hohen Häuser düster. So die Getreidegasse, wo wir nicht weit von Mozart’s Geburtshaus zu wohnen die Ehre hatten. Indessen haben die früheren Fürsten auch diesen Uebelstand dadurch zu mildern gewußt, daß sie von der Getreidegasse aus zwei ansehnliche nach der Salzach mündende Pforten anbrachten. Auf der gegenüberliegenden Seite sind, von dem sogenannten Platzl ausgehend, ebenfalls meist enge Straßen, namentlich die am Capuzinerberge hingestreckte Gasse zum Steinthor. Allein diesen enggedrängten Kern umgiebt bis zum Fuße des Mönchsberges eine stattliche Kette von Palästen, unter denen das Collegiumsgebäude der ehemaligen Universität mit seiner schönen Kirche, der Marstall, die Reitbahn, das Urselinerinnenstift, St. Peters-Stift und die Residenz die hervorragendsten sind. Am rechten Ufer der Salzach ist Mirabella der Haltpunkt schöner Bauten und umfangreicher Plätze. Auch die Thore der Stadt tragen zur Zierde derselben bei, da die Erbauer, die prachtliebenden und wohlhabenden Erzbischöfe, jede Gelegenheit benutzten, ihre Residenz würdig auszuschmücken, darin aber durch das treffliche Baumaterial unterstützt wurden, welches die nächste Umgegend darbietet. Nur eins ist mir bis jetzt noch unbegreiflich, nämlich daß keiner dieser Kirchenfürsten auf den Gedanken gekommen, die Holzbrücke der Salzach mit einer steinernen zu vertauschen. Den Grund suche ich in der Schwierigkeit der Wasserbauten in einem 75 so reißenden Gewässer, wie das der Salzach ist. Dies scheint mir aber auch der einzige Mangel der übrigens in so reichem Schmucke prangenden Stadt.
Nächstdem fällt es auf, daß in einer so alten Stadt wie Salzburg gar keine gothischen Gebäude zu finden sind. Die byzantinische Pforte der Peterskirche, die wenigen Säulen in dem Kreuzgange des Stiftes, die kleine Kreuzkapelle auf dem Kirchhofe, ein Theil der Franziskanerkirche, das ist nebst der Augustinerkirche so ziemlich Alles, was von alter Architektur übrig ist. Der Grund dieser Erscheinung liegt auch hier darin, daß die Architektur dem Leben und dem Bedürfnisse nicht entfremdet worden ist. Das Baufällige wurde abgetragen und durch Neues und Frisches ergänzt. Jedes Zeitalter, jedes Individuum strebte darnach, auch von seiner Thätigkeit, von seinem Leben ein Denkmal zu hinterlassen. Und so ist es denn gekommen, daß in Salzburg, wie in den meisten österreichischen Stiftern die alte Zeit von der neueren überwuchert und überwachsen ist. Dem Freunde der Alterthümer dient dabei zum Troste, daß die alten, durch Brand oder sonstige Anlässe zerstörten Gebäude nicht eben sehr kunstreich gewesen seyn mögen. Wahrhaft schöne Gebäude, wie die Pforte zu St. Peter, die der Erhaltung werth waren, sind doch gerettet und sorgfältig erhalten.
Wir gelangten endlich zu dem gewöhnlichen Ziele 76 unserer abendlichen Wanderung, dem St. Petersstiftskeller, wo wir Landsleute fanden und die Bekanntschaft des Chorvicarius, Herrn Eitzenberger’s, machten, der durch seine musikalischen Studien und als Kenner und Pfleger der alten Musik bekannt ist.
Sonnabend, den 6. September, erhoben wir uns bei Zeiten, nachdem wir bereits am Abend vorher unsere Reisetaschen in Ordnung gebracht. Unser Erstes war eine Betrachtung des Himmels. Ein mattes Blau schimmerte durch die Wolken und erregte in uns eine schwache Hoffnung auf einen wenigstens regenarmen Tag. Wir wollten Hallein und den Dürrenberg besuchen.
Wir begaben uns also noch vor sechs Uhr nach dem Gasthofe zum Erzherzog Karl, wo wir bereits am gestrigen Abend uns Plätze in dem Stellwagen gelöst hatten. Wir waren eher auf dem Platze als der Wagen. Nach uns erschienen auch andere Leute, die gleiche Absicht mit uns hatten. Wir vertrieben uns die Zeit mit Betrachtung des Himmels, an welchem allgemach die vorher blau schimmernden Stellen abermals ergraut waren. Auch andere Reisebeflissene theilten unsere Befürchtungen, daß es heute aufs Neue regnen werde. Wir waren indessen mit Mänteln versehen und auf Alles gefaßt. Wir wollten in das Innere des Dürrenberges, und dazu taugt jede Art von Wetter. 77
Endlich erschien der Stellwagen, man stieg ein, und das Fahrzeug bewegte sich vorwärts. Unser Gefährte war ein Kreisphysikus aus Rattstadt, der die Versammlung der Landwirthe besucht hatte und die chemischen Feldpredigten des Professors Stöckhardt in Tharandt dankbar rühmte, dagegen noch entrüstet war über die Behandlung, die er in dem Gasthofe hatte erdulden müssen. Er schilderte in ergötzlich humoristischer Weise den Zustand seines Zimmers, seiner Betten, der Bedienung und war namentlich darüber empört, daß ihm der Wirth anstatt einer gehörigen Rechnung einen Fetzen Papier übersendet, auf welchem die Totalsumme des Betrags mit Bleistift gekritzelt war.
Mittlerweile waren wir ein Stück vorwärts gekommen, und zu unserem freudigen Erstaunen brach sich jetzt die Sonne Bahn durch die Wolken. Ein geistlicher Herr, ein Dechant, bemerkte in höchst gemüthlicher Weise, daß seine Hoffnung auf einen heitern Tag sich wohl erfüllen und seine Wanderung ins Gebirge einen glücklichen Verlauf haben werde. Und in der That, die Sonne räumte diesmal siegreich den Himmel auf, die fernen Berge erglänzten in ihrem Scheine. Der geistliche Herr und der Kreisphysikus gaben uns den Rath, das gute Wetter zu einem weiteren Ausfluge zu benutzen und wenigstens bis Golling mitzufahren. Wir waren dazu leicht bewegt. 78
Unsere Reisekollegen machten uns nun auf die interessanten Punkte, an denen wir vorüber kamen, aufmerksam, nannten uns die Namen der Ortschaften und Berge und erwiesen sich als ebenso freundliche als wohlunterrichtete Männer. Wir tauschten Notizen über den Süden und den Norden aus. Die Rede kam auch auf den Mangel an baarem Gelde, der jetzt in den österreichischen Landen so manche Verlegenheit und Klage herbeiführt. Ich sprach meine Ueberzeugung aus, daß ein Staat von dem Umfange des Kaiserreichs, dem so ungeheuere, ja zur Zeit noch unermessene Hilfsmittel zu Gebote stehen, der auch in den letztvergangenen Jahren so Außerordentliches geleistet, über eine derartige zeitweilige Verlegenheit gar bald hinwegkommen werde. Ich erinnerte an den sicher begründeten Wohlstand des österreichischen Landmannes, die noch unaufgeschlossenen Schätze Ungarns und Kroatiens, und auch an das alte Emblem des Reiches: A. E. I. O. U. Austriae est Imperium orbis universi, alles Erdreich ist Oesterreich unterthan; Aquila Electa Justo Omnia Vincit, aller Ehren ist Oesterreich voll. Auch von diesen Männern vernahmen wir das Lob des Erzherzogs Johann, dem das Hochland soviel verdankt.
Mittlerweile gelangten wir nach dem Städtchen Hallein, wo im Gasthofe zum grünen Baum angehalten und ausgestiegen, auch der Wagen gewechselt wurde. 79 In der gewölbten Gaststube war unter einem Glaskasten das niedlich gearbeitete Modell eines vierspännigen Frachtwagens frei von der Decke schwebend aufgehängt. Dem Gasthofe gegenüber war eine Schmiede, wo zwei gewaltigen Pinzgauer Rossen namhafte Quantitäten Blut abgezapft wurden. Auf meine Frage erklärte mir der Kreisphysikus, daß man im ganzen Gebirge den Pferden alljährlich drei- bis viermal zur Ader lasse und der Ansicht sey, eine Unterlassung dieser Maßregel habe unfehlbar Krankheit und Tod der Thiere zur Folge. Er selbst, hier nicht heimisch, habe sich vergebens diesem Verfahren widersetzt. Jedoch sey es allerdings möglich, daß die Sitte ihren Grund in der Erfahrung habe, und daß die überaus saftigen und würzreichen Kräuter des Gebirges in den Thieren eine Ueberfülle von Säften erzeugen, welcher auf diese Art abgeholfen werde.
Wir stiegen nun in den Wagen und fuhren in dem Thale der Salzach weiter durch eine köstliche, reich angebaute Gegend. Bei dem Dorfe Kuchel treten die Berge näher zusammen, und bei Golling scheint sich das ganze Thal zu schließen. Hier stiegen wir ab und nahmen in der Gaststube der K. K. Post ein Frühstück ein, um uns zu der Fußwanderung nach dem Paß Lueg zu stärken. Wir fanden hier den Bergverwalter des Kupferwerkes von Mühlbach, der uns interessante Mittheilungen über die dort gefundenen vorrömischen, bergmännischen 80 Alterthümer machte. Man fand einen Schlägel aus Granit von etwa 5 Zoll Länge, in der Mitte für den Stiel durchbohrt, und einen vierkantigen Keil aus Bronze. Das Werk ist sehr ergiebig. Leider war es uns unmöglich, der freundlichen Einladung des neuen Bekannten Folge zu leisten und ihn in dem Gebirge zu besuchen.
Wir machten uns nun auf den Weg nach den Oefen, welcher in dem sich immer mehr verengenden Thale hinzieht und allgemach bergan steigt. Nicht weit von dem Ziele fanden wir einen blinden Mann am Wege, der uns seinen fünfjährigen Sohn als Führer anbot. Wir folgten dem munteren Knaben, der mit der Behendigkeit einer Meerkatze uns den schmalen Nebenpfad vorauslief, bald auf dem Kopfe stand, bald Räder schlug und sonst allerlei Possen trieb. Sein Dialekt war uns jedoch kaum verständlich.
Wir vernahmen jetzt ein donnerartiges Gebrause, welches uns die Nähe der sogenannten Oefen verkündete, und standen bald zwischen engen Felsen, unter denen in namhafter Tiefe die hellgrüne Fluth der Salzach sich schäumend hindurchwürgte. Das Wasser hat hier das Gebirge mit allmäliger Gewalt durchbrochen, indem es die weicheren Theile der Felsen ausgewaschen, wie man deutlich an mehreren Stellen beobachten kann. Das Ganze bietet mit der überaus üppigen Vegetation einen wildromantischen Anblick dar, und wir stiegen so lange in den 81 Felsenklüften umher, bis andere nachkommende Reisende unsere Einsamkeit störten. Es sind aber derartige heilige Werkstätten der Natur für mich niemals in größerer Gesellschaft genießbar gewesen.
Wir folgten nun unserem Führer, der seine Possen aufs Neue begann, bergaufwärts und gelangten so auf einen Punkt, der eine prachtvolle Ansicht des berühmten Passes Lueg darbietet. Das Thal verengt sich hier noch mehr, und daselbst ist denn auch, hoch über der Straße, ein Blockhaus angebracht. Von hier senkt sich die Straße, die nach Werfen führt.
An den Felsen der Oefen hatten wir ebenfalls den Namen KYSELACK, den wir auch bei Ischl bemerkt, gefunden.
Wir wandten uns nun in Gesellschaft der Reisenden zum Rückweg, nachdem wir Blumen aus diesem südlichsten Punkte unserer Wanderung gesammelt hatten. Namentlich erfreuten uns die prachtvoll blau blühenden Genzianen von bisher nicht gesehener Größe. Unseren possirlichen Führer stellten wir wohlbehalten seinem Vater wieder zu.
Da bis zur Abfahrt des Stellwagens nach Hallein noch Zeit übrig war, so schlenderten wir im Dorfe Golling umher, dessen breite Gasse von gar stattlichen Häusern mit gewaltigen Holzdächern gebildet wird. Wir lasen die Inschriften an den Häusern, betrachteten die 82 eigenthümlichen Anstalten an den Wagner- und Schmiedehäusern, welche die Leute uns bereitwillig erklärten. In der Gegend ist es Sitte, anstatt der Wetterfahnen große aus Blech geschnittene Pfauen auf den Giebeln der Häuser anzubringen. In der Tracht der Landleute bemerkt man, daß die langen Pantalons an die Stelle der kurzen Lederhosen treten; übrigens finden sich hier noch die kurze dunkle Jacke, der breitkrämpige spitze Hut mit Blumen, Quaste oder Gemsbart und das bunte, lose um den Hals geschlungene Halstuch von Seide.
Jetzt kam der Stellwagen, wir stiegen mit mehreren Landleuten ein und rollten auf der trefflichen Straße dem anmuthigen Dorfe Kuchel entgegen. Hier stieg ein Landmann ein, der alsbald durch seine fröhliche Laune seine anwesenden und auf der Straße vorübergehenden Landsleute, worunter eine nette junge Frau, belebte.
Hinter uns lag im Abendscheine das herrliche Gebirge, dessen schneebedeckte Gipfel weiß herüberglänzten, vor uns der näher herantretende bewaldete Bergzug, aus welchem hie und da obeliskenartige Felsen grauweiß emporragen. Zur Seite strömte die Salzach, die als Holzflöße benutzt wird. Vor Hallein ist ein sehr umfangreicher Rechen angebracht, der durch mehrere Brücken verbunden ist. Auch sieht man große Holzvorräthe aufgestapelt, da die Siedereien täglich mehrere Klaftern Holz in Anspruch nehmen.
83Das Städtchen Hallein nimmt sich aus der Ferne gar malerisch aus, da es sich an dem linken Ufer der Salzach den Berg hinanzieht. Die weißen Dämpfe der Siedehäuser steigen über die Dächer empor.
Der Wagen hielt abermals vor dem stattlichen Gasthofe zum grünen Baume, und die Frau Wirthin empfing uns mit österreichischer Herzlichkeit, wie alte Bekannte, obschon wir am Morgen nur wenige Worte mit ihr gewechselt hatten. Es war eine überaus saubere, nette Frau von ansehnlichem Umfange, aber äußerst anständigen und graciösen Bewegungen. Ihr fast antikes Gesicht hatte die zarte Farbe von Milch und Blut, aus den blauen Augen sprachen klarer Verstand und ruhige Umsicht. Im Hause sah man sie überall früh und spät. Sie war aufmerksam auf Alles, sah überall selbst nach, ohne Rast und ohne Hast. Sie führte uns über die neuen, reinlichen Treppen in das zweite Gestock, wo sie uns ein Zimmer mit zwei sauberen Betten anwies. Der Gasthof war im vorigen Jahre zur Hälfte abgebrannt. Sie klagte nicht darüber, erzählte aber, daß der Neubau ihr an 10,000 Gulden gekostet. Indeß freute sie sich dieses Neubaues und führte uns, da wir Interesse an der Sache zu erkennen gaben, darin umher, zeigte mit Behagen die neuen Zimmer und Räumlichkeiten und erklärte uns den Plan des Ganzen. Wir bestellten uns nun zunächst ein Abendbrot und erhielten gar bald eine jener österreichischen 84 Suppen, deren Oberfläche mit Scheiben von Salami geschmückt ist und die so nahrhaft als wohlschmeckend sind. Dann folgte ein saftiges Rostbratl, dem als munterer Begleiter ein milder Grinzinger beigegeben war.
Nachdem wir nach Kräften unsere Pflicht der Ernährung erfüllt zu haben glaubten, begaben wir uns herunter und wanderten in den Gassen der Stadt umher, traten auch in eines der Siedehäuser, wo das Salz in großen offenen Pfannen bearbeitet wird. Ich ergötzte mich an den seltsamen Lichtern, die aus den Feuerstätten fantastisch in die abenteuerlichen Räume streiften. Wir gingen dann nach der Salzach und betrachteten den großartigen Rechen näher. Es ist ein überaus ausgedehntes Werk, umgeben von geräumigen, zur Aufschichtung der Holzvorräthe nothwendigen Plätzen, Wächterhäusern und Schoppen, wo die Hölzer geduldig ihrer Verklärung durch die Flamme harren müssen. Wir stiegen ungehindert in den Stegen und Brücken umher und freuten uns des tosenden Wehres, wo die Salzach ihre schäumenden Fluthen hinabgoß. Diese zusammengeschichteten Holzscheite kommen mir immer wie die in den Canzleien und Expeditionen des modernen christlichen Westeuropa zusammengepferchten Staatsdiener vor, die auf Avancement dienen. Man zieht einen nach dem andern, je nach der Anciennetät, heraus und legt ihn auf einen anderen Haufen zu anderen, bis auch sein Tag gekommen. 85
Wir wandten uns zur Stadt zurück und gingen bei einem blumenbekränzten Madonnenbilde vorüber, an welchem bereits die Lampe angezündet war. Unsere freundliche Wirthin hatte uns gesagt, daß heute der Bergmeister, der weiter befördert worden, von den Knappen mit einem Fackelzuge werde begrüßt werden. Wir vernahmen auch, als wir eben den hochgelegenen Kirchhof verlassen, aus der Ferne Musik und die große Trommel. An den Straßenecken gruppirten sich die Menschen. Die Musik kam näher, rother Schein beleuchtete die entfernten Häuser, und der Bergaufzug bewegte sich heran. Es mochten ungefähr 150 Mann sein, die sich von den sächsischen Bergleuten dadurch unterscheiden, daß ihre Kleider weiß sind. Sonst tragen sie einen schwarzen Schachthut, das Bergleder und die Blende. Es waren meist große Männer von etwas gebückter Haltung. Der Zug bewegte sich über die Salzachbrücke am Ufer entlang. Meinen Sohn erkannten die Knappen bald als Collegen und drückten ihm die Hand. Vor der Wohnung des scheidenden Beamten wurde Halt gemacht und ein Glückauf gerufen, worauf er einige herzliche Worte des Dankes sprach.
Wir waren indeß von den Fahrten und Erlebnissen des heutigen Tages ermüdet und kehrten daher nach unserem grünen Baume zurück, wo wir in den reinlichen, ja 86 zierlichen Betten unsere müden Glieder der behaglichen Ruhe übergaben.
Sonntag, den 7. September, weckte uns die rastlose Wirthin bei guter früher Tageszeit und stellte uns einen Führer auf den Dürrenberg. Wir stiegen rüstig, diesmal aber bei bedecktem Himmel, durch die Straßen aufwärts. Es begegneten uns viel geschmückte Leute, die sich zur Kirche begaben. Allgemach ward der Weg steiler, die Aussicht aber über Stadt und Land immer umfassender. Wer jedoch heute hinaufsah in das Salzachthal, erblickte da, wo gestern die dunkelvioletten Gebirge mit den schneebedeckten Häuptern standen, nur eine dicke, schwerfällige Wolkenmasse, die sich sogar der näher gelegenen Berge bemächtigt hatte. Auch an diesem Wege waren Kreuze und Heiligenbilder errichtet, welche die Landschaften katholischer Gebiete so sehr beleben und dem einsamen Wanderer sagen, daß es hier Menschen giebt, die von den Gefühlen des Dankes und der Verehrung noch erfüllt sind und der Aeußerung derselben sich nicht schämen.
Endlich waren wir an der Höhe — über uns stand das Kirchlein, vor uns das anspruchlose Gebäude der K. K. Grubenanstalt, nebst den Wohnungen des aufsichtführenden Personals. Der Steiger war schon anwesend, ein langer, rüstiger Mann, dem wir unser Empfehlungschreiben übergaben. Die Thür der Grubenanstalt 87 wurde geöffnet, und wir traten in einen Saal, in dessen Mitte ein Crucifix errichtet war. Wir schrieben unsere Namen in das Fremdenbuch und betrachteten das Gezähe. Dann brachte man das Fahrzeug herbei, bestehend in einem Paar aus dickem weißen Zwillich gemachten Beinkleidern mit einem Zug um den Leib und Bändern um die Knöchel und einem Kittel aus gleichem Stoff. Wir zogen diese Kleider über Hosen und Rock, so daß wir an Umfang gar beträchtlich gewannen. Hierauf schnallte man uns das Bergleder um und gab uns eine kleine Fahrkappe aus schwarzem Tuch mit weißer Einfassung. Für die rechte Hand empfing Jeder einen tüchtigen, ledernen Fausthandschuh. Wir mußten uns gegenseitig anlachen, wenn Einer den Anderen in diesem Costüme erblickte, welches jede Spur von Taille vernichtet, übrigens aber ganz zweckmäßig ist.
Nachdem wir also zur Einfahrt hergerichtet waren, führte man uns durch das Grubengebäude herab an das Mundloch des im Jahre 1450 eröffneten Obersteinbergstolln, der 480 Klaftern in den Berg hinein getrieben ist. Der Stolln ist sauber ausgemauert, das Tretwerk zwei Fuß breit, und an den Seiten befinden sich zwei Röhrenleitungen. Wir erhielten hier Jeder einen Handleuchter mit angezündetem Lichte und schritten nun in Gottes Namen vorwärts. Ich war noch niemals im Inneren eines Bergwerkes gewesen, und mir war daher hier Alles neu, was 88 ich sah, während mein Sohn auf heimischem Gebiete sich befand. Es ging nun eine Weile ganz gerade in dem gemauerten Stolln vorwärts, dann aber begann die Zimmerung, die überaus splendid und massiv ist. Unser Führer geleitete uns in einige abzweigende Nebenstolln, wo er auf die Art des Abbaues des Lettens, die Werkzeuge und was dazu gehört, aufmerksam machte. Die salzhaltigen Letten darbietenden Partieen werden zu sogenannten Wehren eingerichtet, Wasser hineingeleitet und damit angefüllt. Hat sich dann das Wasser zu 23 Procent damit gesättigt, so wird es in den vorhandenen Röhren als Soole in die Kessel der Siedehäuser geleitet und dort versotten. An der einen Stelle machte uns der Steiger die interessante Mittheilung, daß hier vor einiger Zeit eine, die Decke bildende Masse Letten herabgestürzt sey. Wir kehrten nach dem Hauptstolln zurück und gelangten nach einiger Zeit an einen schrägabfallenden Schacht, aus welchem zwei dicke runde Balken in etwa 1½ Fuß Entfernung parallel hervorragten. Mit der ihm eigenthümlichen Ruhe erklärte der Steiger, daß man sich mit gespreizten Beinen hierauf zu setzen und mit der Rechten den Strick zu erfassen habe, um in ein tiefer gelegenes Stockwerk rutschweise zu gelangen. Ohne unsere Ansicht über diese Art des Fortkommens abzuwarten, setzte er sich auf diese sogenannte Rolle, mein Sohn that ein Gleiches, und ich konnte nichts Besseres thun, als dem 89 Beispiele der beiden Bergleute folgen. Die Fahrt ging 24 Klaftern abwärts ganz vortrefflich von statten; man kann durch Vorlegen oder Rückwärtsbeugen des Körpers die Schnelligkeit nach Belieben beschleunigen oder hemmen.
Unten angekommen machte uns der Steiger auf eine gangartige Spalte im Berge aufmerksam, welche der Ueberrest einer ehemaligen Schachtrichtstrecke ist, die durch den Druck der Masse sich verengert hat und allmälig ganz schließen wird. In Folge dieser Eigenthümlichkeit hat man denn auch im Berge nicht allein mehrere menschliche Leichname, namentlich in den Jahren 1573 und 1616, sondern auch mehrfache Werkzeuge aus Bronze, Frameen, die dazu gehörigen Stiele, Stücken von Leder, Gewebe, Schaufeln aus Holz und dergleichen mehr gefunden. Wir gelangten darauf, den Stolln beschreitend, zu einer Stelle, wo das reine Steinsalz gebrochen wird, das meist eine schöne goldgelbe, röthliche oder amethystblaue Farbe zeigt. Wir passirten sodann zwei kürzere Rollen und gelangten darauf an die vierte, an deren Ende uns ein überraschender Anblick erwartete. Wir sahen vor uns einen dunkeln Wasserspiegel, der am Rande ringsum strahlende Lichter wiedergab. Es ist dies der sogenannte unterirdische See von 48 Klaftern Länge und 30 Klaftern Breite. Der Anblick ist um so eigenthümlicher und großartiger, als die von dem Dunkel verwöhnten 90 und geirrten Augen den Maßstab für die Entfernung verloren haben. Unser Steiger lud uns ein, das am Ufer stehende, mit Bänken und Lehne versehene Floß zu besteigen und uns zu setzen. Er selbst mußte seiner ansehnlichen Länge wegen eine gebückte Stellung einnehmen, denn über dem Wasserspiegel lagerte kaum in fünf Fuß Höhe die graue Decke, ein Umstand, der ein allerdings drückendes, unbehagliches Gefühl erzeugt. Langsam, von unsichtbarer Macht gezogen, bewegte sich das Fahrzeug über das stille dunkele Wasser, die kleinen Flämmchen am jenseitigen Ufer näherten sich, und wir betraten wiederum festen Boden. Der Stolln nimmt von hier an eine abwärtsgehende Richtung. Wir gelangten über Stiegen zu einem freien Platze, auf welchem mehrere aus Marmor gearbeitete Denkmale für den heiligen Rupert und Sigismund und eins auf den im Jahre 1807 stattgefundenen Besuch des Kaisers Franz I. aufgestellt sind. In einem besonderen Cabinete ist eine Sammlung der hiesigen Bergerzeugnisse, natürlich nur in Prachtexemplaren, aufgestellt. Auch werden hier mehrere vorrömische hölzerne Axthelme und Schaufeln von sehr kleinem Umfange, dann auch Leder- und Gewebebruchstücke aufbewahrt, die in dem Salzwerke allgemach aufgefunden wurden.
Wir begaben uns nunmehr auf die fünfte oder Wolf-Dietrich-Rolle, welche 40 Klaftern hinabgeht. In der 91 Mitte der Fahrt trat eine Unterbrechung ein; ich blieb nämlich sitzen und konnte trotz alles Rutschens und Arbeitens nicht vom Flecke kommen. Ein Blick auf meine unter mir befindlichen Vorfahren gab mir den Trost, daß es ihnen auch nicht besser gehe. Wir arbeiteten indessen unverdrossen darauf los und saßen endlich doch glücklich auf dem Boden.
Wir stiegen nun abwärts, bis wir an den im Jahre 1596 von dem Erzbischof Wolf Dietrich in den Kalkfelsen eingehauenen Stolln kamen. Hier stand ein langer Wagen, auf welchen wir uns rittlings setzten. Es galt, eine Strecke von 1041 Klaftern bis zum Tageslicht zurückzulegen. Vor den Wagen spannte sich ein stämmiger Bursche, ein anderer schob von hinten. Das Fahrzeug setzte sich in Bewegung, und es ging nun in scharfem Trabe vorwärts. Da jedoch der Stolln kaum 4 Fuß breit, so ist es rathsam, fein still und ruhig zu sitzen, Elbogen und Kniee am Leibe zu halten und den Kopf nicht seitwärts abzubeugen, indem sonst die Nase an dem Gestein etwas beschädigt werden dürfte. Der Zugwind löschte bald die Lichter aus, so daß nur die vorn angebrachte Laterne noch das glitzernde Gestein der Wände nothdürftig beleuchtete. Hie und da sind Ausweichestellen, wo der Stolln erweitert ist. Nachdem wir 641 Klaftern zurückgelegt, ward gehalten, und der Steiger machte uns auf einen in der Finsterniß vor uns befindlichen Lichtpunkt 92 aufmerksam. Es war das in einer Entfernung von 400 Klaftern, d. h. 2400 Fuß sich andeutende Tageslicht am Mundloch. Die Laterne war bereits vorher erloschen und störte uns nicht in der Betrachtung dieser interessanten Erscheinung. Allgemach drang nun das Tageslicht immer kräftiger ein, so daß ich den Kopf und die Schultern des karrenziehenden Knappen sehen konnte. Endlich fuhren wir zu Tage, saßen ab und begaben uns in das Grubengebäude, wo wir unsere Mützen und anderen Dinge wiederfanden. Hier zeigte man uns noch ein sinnreich gearbeitetes Modell des Berges, dessen Schachte und Stolln durch buntgefärbte Drähte angedeutet waren.
Wir drückten nun dem braven Steiger unsere Dankbarkeit aus und verließen, nachdem wir auch die Knappen bedacht, den Dürrenberg, überaus befriedigt von dem belehrenden und erfreuenden Inhalte desselben. Gemächlich stiegen wir zur Stadt hinab, betrachteten den an Denkmalen reichen, wohlgepflegten Kirchhof und traten auch einen Augenblick in die Kirche.
Wir kehrten in den Gasthof zurück, an dessen Thür uns die Frau Wirthin empfing, die uns einen Nürnberger Thaler zeigte, den sie soeben angekauft hatte. Wir drückten unseren Wunsch nach einem Frühstück aus, begaben uns in das Zimmer, ordneten die Reisefrüchte und wanderten, nachdem wir einige Wiener Würstl zu 93 uns genommen, unter den Segenswünschen der Wirthsleute zum Thore hinaus.
Es war ein trüber, doch regenfreier Tag, die Straße trocken und daher ganz geeignet zu einer Fußwanderung. Freilich hatten die waldigen Berge zur Linken der Straße ihr dunkeles Grün mit ziehenden, zähen Wolkenschleiern verhangen. Uns ergötzten indessen die stattlichen Häuser, deren mit gewaltigen, weit hervorragenden Holzdächern versehene Giebel auf die Straße gewendet sind. Doch fanden wir auch schon hier eine moderne Bauart sich Bahn brechen, die dem malerischen Ansehen der Gegend durchaus nicht zum Gewinn gereicht. Desto mehr erfreuten uns die mannichfaltigen, zur Seite der Straße aufgebauten kleinen Kapellen, in denen zum Theil recht saubere, wenn auch nicht auf höheren Kunstwerth Anspruch machende Darstellungen angebracht waren. Die schönste dieser Kapellen befand sich am Wege auf einem kleinen Hügel; zu jeder Seite derselben erhob sich ein stattlicher Nußbaum, deren vereinigte Aeste ein dichtes Laubdach über derselben wölbten. War das nicht das Bild zweier Brüder, welche die Mutter oder Schwester in gemeinsamen Schutz genommen? oder glich die Gruppe eher den Eltern, die ihr Kind vereint beschirmen?
Unsere Wanderung wurde oft durch die Gesteintrümmer unterbrochen, die in namhafter Anzahl, zum Theil als Wegebaustoff am Wege lagen, uns zur näheren 94 Betrachtung und Zerschlagung aufforderten und unseren Reisetaschen immer mehr Gewicht gaben. Da gab es weißen, gelblichen, rosenfarbenen, braunrothen, bläulichen, grünlichen, schwärzlichen Marmor, platte und eiförmige Geschiebe. Der Weg führte uns auch über eine Brücke, deren hellgrünes Gewässer uns längere Zeit fesselte. Wir kamen an alten Kirchen und dem modernen Hellbrunn und Anif vorbei. In den zu letzterem gehörenden Gasthof traten wir ein, um den Durst zu löschen, den die Würstchen von Hallein erzeugt hatten. An der Wand hingen ganze Reihen kleiner, 6 Zoll im Durchmesser haltender Pappscheiben, die dem hiesigen Stechbolzenbüchsenverein zum Ziele gedient hatten.
Endlich trat Hohensalzburg aus der Ferne hervor, und wir schritten rüstig vorwärts, da wir nun doch allgemach ermüdeten. Vor der Stadt begegneten uns viele Leute im Sonntagstaate, die nach dem nahegelegenen Hellbrunn wanderten, dessen stattliche Bäume über die Gartenmauer einladend hervorragten.
Nach ein Uhr trafen wir in unserer Wohnung wohlbehalten ein und brachten unsere Toilette und unsere neuen Erwerbungen in Ordnung, stärkten uns auch durch ein Paar Tassen Kaffee und begaben uns sodann nochmals zu Herrn Director Süß, um von ihm Abschied zu nehmen. Wir fanden hier den Landschaftmaler Georg Petzold, dessen Arbeiten, die in 92 Blättern mit Ansichten 95 aus Salzburg und Tyrol bestehen, ich in dem städtischen Museum kennen gelernt hatte. Das Gespräch kam auf die oft muthwillige Zerstörung alterthümlicher Kunstdenkmale. Ich erzählte, wie in einem sächsischen Städtchen der Rathsdiener, dem zugleich die Ueberwachung der archivalischen Schätze anvertraut war, eine ebenso billige als vortreffliche Schuhwichse anfertigte und verkaufte, deren sich namentlich auch der Senat des Ortes bediente. Als nun einmal Jemand den Rathsdiener fragte, wie in aller Welt es nur möglich sey, daß er ein so vorzügliches Gewerbserzeugniß liefere, erwiderte derselbe, daß dies mit Hilfe der alten Wachssiegel geschehe, welche in einem Kasten an mehreren Pergamenturkunden sich vorfänden. Das geschah noch zu Anfang dieses Jahrhunderts. Der Küster von Rochlitz rühmte sich gegen mich noch im Jahre 1823, daß er den Herren und Frauen Communicanten einen wesentlichen Dienst geleistet, der auch bei männiglich volle Anerkennung gefunden habe. Vor dem Altare lagen nämlich Grabsteine, deren hochemportretende Wappen er mit der Holzaxt weggemeiselt hatte. In Salzburg dagegen hatte man die schönen Statuen, welche vom Brande des Domes noch übrig geblieben, in Gartenzäune vermauert und eine Schale aus weißem Marmor, die in den Ruinen Juvaviums gefunden worden, als Rinnstein verwendet. 96 Wir trösteten uns über derartige Erlebnisse, so gut wir konnten.
Wir nahmen Abschied von den Alterthumsfreunden und wanderten gemächlich über die Salzachbrücke, die heute zum Sonntag ganz besonders belebt war. Wir sahen die Frauen in dem Goldhelme, der mit einer Nadel am Zopfe befestigt ist, die Ringelhauben aus Gold oder Silber; die wohlhabenden Landleute umgeben ihren Spitzhut mit einer Schnur, an welcher zwei reiche Goldquasten über die Krempe herabhängen; noch reichere haben goldene Schnuren um den Hut. Gar häufig tragen sie den Gemsbart, den man übrigens zu kaufen bekommt. Wir begingen nochmals alle uns lieb gewordenen Plätze und gelangten in der Dämmerung auf den Stiftskeller, wo wir Freunde antrafen.
Montag, den 8. September erwachte ich noch ganz voll eines der seltsamsten Träume, die mir in meinem Leben vorgekommen. Ich befand mich in einem tageshellen Raume, sah aber über mir wie in einer verdichteten Luftschicht allerlei große und kleine Fische umherschweben. Je mehr ich mich über diese seltsame Erscheinung freute, desto deutlicher wurde sie mir, bis sie sich allgemach wiederum zerlöste.
Unser freundlicher Wirth hatte sich erboten, uns heute Vormittag nach dem Fürstlich Schwarzenbergischen 97 Park Aigen zu geleiten. Der Himmel war allerdings auch heute trüb und schien den am Sonnabend unterlassenen Regen heute nachholen zu wollen. Wir machten uns indessen marschfertig und begaben uns auf den Weg. Wir gingen die Salzach entlang, stromaufwärts, bis wir an eine Fähre gelangten, die an einem über den Fluß gespannten Seile lief. Wir gelangten auf einen Wiesengrund, den ein mit der Salzach parallel laufender Arm durchschnitt. Es war ein langer auf Blöcken ruhender Steig zu passiren, ehe wir auf die Straße kamen, die nach dem Park leitete, der sich an die Kirche und das Schloß anlehnt. Gleich am Eingange stehen prächtige Bäume, die einen stattlichen Springbrunnen umgeben. Dann führt der reinlich gehaltene Weg aufwärts. Dem Wanderer kommt ein ansehnlicher, jetzt sehr wasserreicher Bach munter entgegen, der einen laut tosenden Wasserfall bildet und den man auf mehreren Brücken überschreitet. Es fehlt nicht an manichfaltigen Felspartieen, die an der einen Stelle eine wilde höhlenartige Schlucht bilden, durch die man hindurchschlüpfen muß. Endlich gelangt man zu der bella vista, die allerdings den Namen mit vollem Rechte führt, da sich hier dem Auge eine wundervolle Ansicht über die Stadt eröffnet. Der Himmel war uns günstig und goß aus den zerrissenen Wolken die herrlichste Fülle des Sonnenlichtes über die Gegend. Die Festung Hohensalzburg lag klar vor uns und am Fuße derselben die interessanten Häusergruppen. 98
Wir gelangten sodann an einen freien, ebenen Platz, der mit herrlichen Buchen bestanden war und über den hinweg wir zu einer zweiten Ansicht der Gegend gelangten. Längs der Berge und an der Salzach ziehen sich von hier die Sommerwohnungen der Salzburger hin, die meist im ländlichen Style, nur eleganter und farbenreicher, erbaut sind. Diese Wohnstätten sind durchgängig mit schönen Gartenanlagen und Baumgruppen umgeben.
Wir stiegen nun wiederum abwärts und warfen dann einen Blick in das freundliche Kirchlein, das am Eingange des Parks hingestellt und mit Gemälden auf Goldgrund, Kreuzfahnen und bunten Statuen verziert ist.
Auf unserm Wege durch die Wiesen begegnete uns ein englischer Gentleman, der sich durch eine deutliche, in deutscher Sprache abgefaßte Anfrage bei uns zu überzeugen suchte, ob er auch wirklich auf dem richtigen Wege nach des Prinzen Swartschenbech Slosch Aickra sich befinde, und dann höflich dankend weiter dahin schritt.
Wir gingen an der Salzach herein, am Birgelstein vorbei, durch die Vorstadt Stein und eilten nach dem Dom, wo heute Fräulein Lutzer singen sollte. Es kamen uns zahlreiche Landleute entgegen, die Frauen in reichem Schmuck. Die Messe war jedoch im Dom bereits vorüber, und wir begnügten uns mit der Betrachtung der Gemälde und Sculpturen, die er in so reicher Fülle darbietet. Dann aber schlenderten wir nach St. Peters 99 Keller, um uns durch trefflichen Schinken und Ruster von der Morgenpromenade zu erholen.
Ich begab mich dann nochmals in das städtische Museum, um den reichen Inhalt desselben noch einmal durchzugehen. Dann aber begann das unvermeidliche, aber immer unangenehme Geschäft des Einpackens und die Plage mit der aufgequollenen, getragenen Wäsche, den manichfachen neuerworbenen Büchern, Steinen und anderen Sachen. Wie oft in der Welt, ging es diesmal besser von Statten, als wir erwartet, und wir behielten noch Zeit zu einem, dem Abschied gewidmeten Gange durch alle Theile der uns so lieb gewordenen Stadt. Das Glück führte uns auch einen Fuhrmann zu, der es übernahm, uns morgen für den gewöhnlichen Satz von sieben Gulden nach Ischl zu fahren. Wir nahmen den dazu erlesenen Einspänner in Augenschein und hatten somit alle unsere Geschäfte in Ordnung, da wir auch unsere Pässe visirt erhalten hatten.
Zum Schlusse traten wir in St. Peters Keller und hatten eben Speis und Trank unter Bürgern und Landleuten erhalten, als der Regen auf’s Neue und überaus fleißig seine Arbeit begann. Wir nahmen Abschied von Wirth und Kellner und gingen nach Haus, da unsere gütigen Wirthsleute uns heut Abend mit in das Concert der Liedertafel nehmen wollten.
Die salzburger Liedertafel hat ein stattliches Local 100 im Gasthofe zur goldenen Traube. An den Wänden sind die Embleme, sowie die Wappen anderer österreichischer und bairischer Liedertafeln aufgehängt. Man nahm an Tischen Platz und konnte sich nach der Karte Speisen geben lassen.
Das Concert selbst ward gut von Männerstimmen ausgeführt, vor Allem aber sprach das gemüthvolle Loblied auf Steiermark an, das auch allgemeine Begeisterung erregte, während das Lied von den deutschen Bundesstaaten die größte Heiterkeit hervorrief. Einer der Herren brachte noch ein Lebehoch auf die 14. Versammlung deutscher Land- und Forstwirthe aus, zu deren Ehren das Concert veranstaltet war. Zur Erwiederung sprach ein durch Alter und Verdienst ehrwürdiges Mitglied der Versammlung einige Worte des Dankes. Einen überaus angenehmen Eindruck machten die Vorträge eines Virtuosen auf der Zither. In Norddeutschland ist dieses in den Gebirgsländern südlich der Donau allbeliebte Instrument gar nicht bekannt, obschon die Mischung der Darm- und Drahtsaiten überaus liebliche und eigenthümliche Töne hervorbringt. Am schönsten nehmen sich freilich die Schnaderhüpfeln darauf aus und langsam gehaltene Märsche.
Man zeigte uns noch die der Gesellschaft gehörigen Pocale und Trinkhörner, die sie für ihre Leistungen als Preise gewonnen hat und die in einem besonderen Schranke aufbewahrt werden.
101Endlich mußte geschieden seyn, und wir begaben uns erfreut von dem so heiteren, als anständigen Ton, der diese Gesellschaft belebte, zur Ruhe.
Dienstag, den 9. September, erschien verabredeter Maßen unser Einspänner bald nach 7 Uhr vor unserer Hausthür. Wir nahmen dankend herzlichen Abschied von unseren liebenswürdigen Wirthsleuten und stiegen in den eleganten Wagen, der auch gegen Regen genügenden Schutz darbot.
Wir rollten über die Salzachbrücke durch die wohlbekannte Linzer Gasse, das Linzer Thor auf die Landstraße hinaus bis an den Fuß des steilen Berges. Hier stiegen wir aus, um dem guten Grauschimmel eine Erleichterung zu verschaffen. Unser Fuhrmann, ein hübscher Mann mit wohlwollendem, scharf geschnittenem Gesicht und stattlichem braunen Barte, theilte uns mit, daß er dem Kaiser als Soldat in dem ungarischen Feldzuge gedient, auch ein Tagebuch über seine Fahrten und Abenteuer geführt habe. Er lobte die Ungarn als gar gute Menschen, die ihm viel Wohlwollen erwiesen. Er berichtete auch über die Russen, die er dort gesehen und deren großartigen Appetit er bewundert, wobei er bemerkte, daß sie durchaus nicht ekel gewesen und rohe Kartoffeln und Kürbisse nicht verschmäht hätten. In Folge dessen hätte freilich die Cholera große Verheerungen unter ihnen angerichtet. Sonst lobte er ihre Gutmüthigkeit 102 und die Schönheit ihrer Cavalerie. Er sagte, daß er sich gern in Ungarn niedergelassen hätte, daß er aber seine Mutter hier habe, die er doch nicht verlassen könne. Es war ein überaus gutmüthiger Mensch.
Der Berg war erklommen, wir stiegen wiederum ein und fuhren durch die freundliche Gebirgsgegend bis nach Hof, wo abermals gehalten und dem Grauschimmel eine Erholung gewährt wurde. Er hatte dieselbe Sitte, wie sein brauner Vorfahr, hie und da eigenmächtig an den Wassertrögen zu halten und einen frischen Trunk zu thun.
Wir hatten den gewaltigen, mit Personen angefüllten Postwagen, der eine halbe Stunde vor uns abgefahren war, bereits überholt und kamen daher auch vor demselben fort. Der Weg senkt sich nun nach dem Fuschelsee hinab, den wir in schönster Beleuchtung zur Linken hatten. Dann steigt die Straße wieder empor und geht im Walde fort. Auf den Bergen lag Schnee, und es erreichte uns jetzt ein Regenwetter, das mit Schneeflocken untermischt war und den Wagen möglichst zu schließen uns nöthigte.
Als wir jedoch an den Punkt gelangten, wo der Wolfgangsee sichtbar wurde, ließ das Wetter nach, und wir konnten den Wagen verlassen und, die herrliche Aussicht genießend, den Berg herein zu Fuße gehen, ja sogar die Mäntel von uns thun.
Diesmal traten wir in St. Gilgen in das große Gastzimmer, aus dessen Küche die Dünste des Mittagsessens 103 hervorquollen, wenn die ansehnliche Gestalt der rührigen Wirthin hereintrat und die Wünsche der Gäste vernahm oder erfüllte. Es war dieselbe Frau, die wir acht Tage früher unter dem Schimmer des Goldhelmes erblickt hatten. Diesmal ersuchten wir zunächst um eine Suppe und erhielten auch bald eine jener oberösterreichischen Suppen mit fleischlichem Inhalt, die mir für ein ganzes Mittagsessen genügen. Ich ließ jedoch noch ein Rindfleisch auftragen, dessen Vortrefflichkeit zu weiterem Essen verleitete. Löffel und Gabeln waren auch hier von Silber und das Tischzeug überaus sauber und nett. Das Lob ihres Mittagsessens vernahm die gute Wirthin mit freundlicher Miene.
Nachdem wir ein Stündchen geruhet, spannte unser Fuhrmann wiederum ein; wir wollten eben einsteigen, als ein Wagen am Gasthof hielt, der zwei Damen von unserer Bekanntschaft, und zwar von meiner Straße, heranführte. Das gab denn natürlich große Freude und gegenseitige eilige Mittheilungen.
Wir fuhren weiter; die Sonne war mittlerweile aus den Wolken getreten und berührte den Wolfgangsee und seine malerischen Ufer auf das Anmuthigste. Die Oberfläche des Wassers spielte in allen Nuancen des Blau bis in Violett und Grün. Die Büsche und Bäume am Wege funkelten noch naß vom Regen, und wir ließen, um uns diesem herrlichen Schauspiele ganz hinzugeben, den Wagen zurückschlagen. 104
Wir hatten bald den Postwagen, der in St. Gilgen frische Pferde vorgelegt hatte, überholt und eilten durch die bekannte Gegend dahin, so daß wir zeitig in Ischl eintrafen und im Gasthofe zur goldenen Krone abstiegen. Die freundlichen Kellnerinnen empfingen uns als alte Bekannte und brachten uns auf unser früheres Zimmer, wo wir nicht lange verweilten. Wir begaben uns zunächst nach dem Siedehause, sahen die gewaltigen Pfannen und dann die Zuformung des schneeweißen Salzes, das in Fässer geschlagen und weiter geführt wird. Dann begingen wir die Promenaden, die Säulenhalle, die Straßen der niedlichen Stadt, die bereits einige recht stattliche Gasthöfe aufzuweisen hat. Am interessantesten war ein Gang an der Traun, wo eben ein Paar für den kleinen Fluß scheinbar colossale Kähne durch Pferde unter der Brücke hindurchgezogen wurden. Die Schiffer haben ganz eigenthümliche Schalten und Ruder. Die Ruder bestehen aus Tafeln, die etwa eine Quadratelle haben und an denen ein kurzer Stiel befestigt ist.
Mit Dunkelwerden kehrten wir in unseren Gasthof zurück und machten nun unseren, mittlerweile daselbst ebenfalls angelangten Damen unsere Aufwartung, die nun ausführliche Berichte über ihren Aufenthalt in Wien, Venedig, Inspruck u. s. w. erstatteten.
Wir begaben uns sodann in die Wirthsstube, um ein frugales Souper einzunehmen, und zogen Erkundigungen 105 über die Wege nach Kremsmünster und St. Florian ein. Ich hatte mir vorgenommen, ein österreichisches Benedictinerstift zu besuchen, und Kremsmünster vornehmlich im Auge behalten, ein Stift, dessen Insassen so viel für die Wissenschaften geleistet. Ich war begierig, den astronomischen Thurm zu sehen und die schönen Sammlungen, die er in seinen acht Stockwerken umschließt. Das lockte sehr. Allein der Weg dahin ward als schwierig geschildert und unser Gepäck war uns ein wahres Impedimentum, wenn wir eine Fußwanderung unternehmen wollten. Ich schob indessen für heute die Entscheidung auf, und wir begaben uns zeitig zur Ruhe.
Mittwoch, den 10. September, waren wir bei früher Tageszeit auf den Beinen und in den Straßen von Ischl. Die Kaufläden boten manches interessante Gewerbserzeugiß zur Anschauung dar, so z. B. die Läden mit österreichischem Porzellan und Glas, worunter namentlich sehr viel modellirte Vesen, Thiere, die als Briefhalter dienen. Eigenthümlich sind die sogenannten heiligen Geiste, die der Landmann in der Stube aufhängt. Es sind Tauben mit ausgebreiteten Flügeln von weißer Farbe und der Größe eines Schmetterlings, die mit farblosem Glase umgeben sind. Ein anderer Laden enthielt Holzwaaren, darunter Tabakpfeifen von höchst abenteuerlicher Gestalt. Der Kopf von ungarischer Form besteht aus einem Knie von Lerchenholz, an welchem sich noch die Rinde befindet, 106 die auch an dem einzusteckenden Deckel theilweise sichtbar ist. Der Stiel besteht aus sauber abgedrehtem und polirtem Knieholz. Als Verzierung hängen an grünseidener Schnur zwei stattliche Quasten aus Bartmoos (Usnea).
Wir beurlaubten uns dann von unseren Damen, die mehrere Tage in Ischl verweilen wollten, und begaben uns nach der Post, um mit dem Stellwagen nach Ebensee uns befördern zu lassen. Es war derselbe, der uns früher nach Ischl gebracht hatte.
Der Wagen war bald gefüllt, und die Pferde zogen an. Bis an die Traunbrücke, freilich eine gar kurze Strecke, ging Alles gut. Als aber der Weg sich hob, verweigerte das auf der Wildbahn gehende Pferd den Dienst und antwortete auf Peitschenhiebe mit Ausschlagen. Weiterhin, wo eine größere Steigung Statt findet, ersuchte der Fuhrmann uns auszusteigen — aber das Pferd wollte den namhaft erleichterten Wagen auch nicht ziehen. Da ergab es sich denn freilich bei näherer Betrachtung, daß die Seiten des armen Thieres wund waren und daß beim Anziehen die aufdrückenden Stränge demselben argen Schmerz verursachen mußten. Indessen die Reisenden wollten vorwärts, und so begann denn eine höchst unbehagliche Fahrt. Das Pferd bekam Hiebe, schlug die Stränge durch und warf beim Ausschlagen ganze Massen Straßenschlamm in den Wagen.
Daher kam es nun, da der Weg dicht am Wasser und 107 zum Theil hoch über demselben hinführt, daß der Wagen, auf dessen Verdeck das umfangreiche und schwere Gepäck ruhte, oft arg schwankte.
Indessen gelangten wir, ohne umgeworfen worden zu seyn, glücklich nach Ebensee und standen bald wohlbehalten auf der Landungsbrücke am grünen Traunsee, vor uns zur Rechten den an 6000 Fuß hoch gerad’ anstrebenden Traunstein. Aus der Ferne näherte sich das Dampfboot und nahm die wenigen Passagiere auf, die hier der Ueberfahrt harrten. Der Wind wehte rauh, es fehlte nicht an Sprühregen, doch war der See diesmal weniger bewegt als bei unserer letzten Fahrt. Schon bevor man an Traunkirchen gelangt, öffnet sich die Aussicht nach Gmunden, und auf die flache Umgegend der Stadt. Sie liegt da, wie die Unterschrift zu dem interessanten Briefe einer theueren Person — wir beklagen, daß der Brief nun zu Ende. Das Dampfschiff kommt heran, wir verlassen unsere Plätze, die wir am warmen Schornstein uns gegen den Wind ausgewählt. Der Capitän, ein langer Engländer, und sein Gehülfe blicken prüfend auf dem Verdeck umher, die Fahrkarten werden eingesammelt, die Matrosen treten zum Anker, das Dampfschiff schwenkt und legt an der Landungsbrücke endlich bei.
Das Gepäck wurde nun nach dem vor der Stadt gelegenen Hofe der Pferde-Eisenbahn geschafft, wir lösten Fahrkarten und kehrten nach der Stadt zurück ans Ufer 108 des herrlichen See’s, aus dem mein Gefährte sich ein Fläschchen mit Wasser aushob, das überaus klar und vollkommen farblos ist. Auch heute zeigte der See die tief dunkelgrüne Färbung, die nur am Ufer vom Ebensee etwas lichter erschien. Von der Landungsbrücke sahen wir dem munteren Treiben der kleinen Fische zu, die hier in großer Zahl versammelt sind und das Brot begierig erhaschen, das man ins Wasser wirft.
Wir begaben uns ins goldene Schiff und fanden abermals an dem Fenster einen Platz, der uns die Aussicht auf den See länger genießen ließ. Während ich meine Sachen ablege, ruft Jemand meinen Namen, und zu meiner freudigen Ueberraschung sehe ich einen Freund aus Dresden an einem anderen Tische. Es ist eine große Freude, in der Ferne unerwartet alten Freunden zu begegnen; es ist wie ein Gruß aus der Heimath, denn an jeder Person haftet eine Reihe von heimathlichen Bildern, die nun lebendig hervorquellen und der fremden Umgebung um so reizendere Gegensätze gewähren.
Endlich schieden wir vom Freunde und vom Traunsee und wanderten dem Bahnhofe zu, getreu meinem alten Grundsatze, lieber eine halbe Stunde zu früh als eine halbe Secunde zu spät zu kommen. Wir hatten Zeit, den Bahnhof, die Wagen, die Vorräthe, die ganze Umgebung gemächlich in Augenschein zu nehmen. Wir hörten auch, daß gestern Abend beim Hereinfahren eine 109 Bremse gesprungen, daß jedoch durch schleunige Hülfe jeder Unfall verhütet worden sey. Das Fortkommen mit der Pferdebahn ist unstreitig das angenehmste und für den Reisenden, der keine besondere Eile hat, das bequemste, und doch immer noch rascher als mit dem Eilwagen. Das abscheuliche Rasseln und Klirren der Wagen, das Pfeifen, Quieken und Pusten der Locomotiven, das Stoßen und Krachen, kurz die ganze Encyclopädie der unangenehmsten, gewaltsamsten und grellsten Töne, welche eine Fahrt mit dem Dampfwagen auf längere Dauer so lästig macht, fällt hier weg, die Gefahr vor dem Umwerfen ist durch den Schienenweg beseitigt. Uebrigens sind die Wagen bequem und geräumig eingerichtet, und der Preis — von Gmunden nach Linz in zweiter Classe ein Gulden — unglaublich billig.
Gegen 3 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung. Man gelangt bald in eine waldige Gegend, die jedoch noch einige Male erwünschte Ansichten des See’s und seiner Umgebung darbietet. Wir hatten Zeit, unsere Nachbarschaft zu mustern. Mir gegenüber saß eine in viele wollene Shawls und Mäntel gehüllte Engländerin, die sich dem Schlaf zu überlassen sehnte und deshalb Studien zu einer bequemen Stellung machte. Nach manichfachen Versuchen beharrte sie bei der Lage des barberinischen Faun in München, d. h. sie legte den Nacken auf die Sitzlehne, schloß die Augen und öffnete den Mund.
110In Lambach wurde angehalten, doch nicht lange genug, um das Benedictinerstift näher betrachten, viel weniger besuchen zu können. Die Gegend bietet nichts Außerordentliches dar, es ist immer Wald, mir allerdings stets ein lieber Anblick. In Wels hält der Zug mitten in der Straße. Zur Linken stieg hinter den Häusern eine neue, im schönsten gothischen Styl gebaute, mäßig große Kirche empor. Sie war für die Protestanten bestimmt. Im Vordergrunde trieben sich ungarische Husaren umher; diese schlanken, zierlichen Gestalten in der schmucken, knappen Tracht mit den dunkelen, ruhigen Gesichtern nehmen sich überaus elegant aus. Sie haben eine Elasticität in ihren Bewegungen, die von dem schwerfälligen Gange des norddeutschen Bauern grell absticht. Die Ungarn sind ohnstreitig die jüngsten Kaukasier, welche in Europa eingedrungen.
In Wels stieg ein Mann in den Wagen, der als Unteroffizier die Kriege in Italien mitgemacht und mehrfach italienische und ungarische Staatsgefangene eskortirt hatte. Auf die Italiener, namentlich die italienische Geistlichkeit, war er gar nicht gut zu sprechen. Nach ihm stieg ein alter Herr ein, der seinen kleinen Enkel bei sich hatte. Da der Wagen sehr besetzt war, so wurde der Knabe neben der Engländerin untergebracht. Mein Nachbar, der eben eingestiegene Kriegsmann, knüpfte ein Gespräch mit der Engländerin an, sie gab zu erkennen, daß sie kein Deutsch 111 verstehe, nahm trotzdem aber den niedlichen Knaben in ihren Schutz und sorgte gar freundlich für bequemen Sitz des schlafmüden Kindes. Der Nachbar versuchte nun in gebrochenem, sehr laut ausgesprochenem Deutsch eine Conversation mit der wohlgesinnten Fremden zu führen. Er mußte jedoch seine Versuche bald aufgeben, zumal da sie bald eben so fest, wie der in ihren Schooß gesunkene Knabe schlief. Mittlerweile war es dunkel geworden und der Entschluß gereift, Kremsmünster und Florian aufzugeben und von Linz aus nach Göttweig und Wien zu gehen. Aus der Ferne schimmerte hie und da ein Lichtlein, in der Straße konnte man die Telegraphenstützen und die Bäume nothdürftig wahrnehmen. Ich ergötzte mich an den Streiflichtern, welche die Wagenlaternen in den oft nahe herantretenden Wald warfen, und den Strahlen, die zuweilen meteorartig aus den Wächterhäusern über die im Schlaf befangenen Wagen-Insassen hinzuckten.
Endlich war der Weg vollbracht, die weiße Kirchhofmauer von Linz vorüber und der Bahnhof erreicht. Hier wurden die Pässe abgegeben und das Gepäck einem Karrenführer anvertraut. Wir schritten durch die öden Straßen, die bei Laternenlicht sich fremdartig darstellten, fürbas, bis wir einen alten Herrn trafen, der mit uns ein Stück Weges vorwärts ging und uns dann weitere Auskunft gab. Weiterhin trafen wir einen Kaiserlichen 112 Soldaten, der uns bestätigte, daß wir auf dem rechten Wege nach dem schwarzen Bock wären.
Hier fanden wir als alte Bekannte gar freundliche Aufnahme und unser altes Zimmer. Zehn Uhr war freilich vorüber, allein wir setzten uns doch erst in die Gaststube und nahmen ein Souper ein, das nach dem langen Wege trefflich mundete.
Donnerstag, den 11. September, erhoben wir uns erst nach der Sonne, ordneten unser Gepäck und gingen dann bei freundlichem Himmel aus, um die Stadt Linz recht gemächlich in Augenschein zu nehmen. Zunächst schritten wir nach dem Markte, der allerdings bei seiner namhaften Länge und verhältnißmäßigen Breite einen überaus stattlichen Anblick gewährt. Er ist mit reich verzierten Häusern umgeben, in der Mitte erhebt sich die Pestsäule Karl’s VI. Auf einem gewaltigen Unterbau steigt eine Säule empor, die ganz mit steinernen Wolken umgeben ist, an welcher Engel angebracht sind. Zu oberst thront die Statue der heiligen Jungfrau. Die Farben sind weiß und Gold. Es hält schwer, eine klare Ansicht des ganzen kolossalen Werkes zu erhalten, da es mit Detail überladen ist. Es ist aber jedenfalls eine Zierde des Platzes, den außerdem zwei Brunnen schmücken. Von hier gingen wir nach der auf 15 Jochen ruhenden, 864 Fuß langen Donaubrücke, die die herrlichsten Ansichten darbietet. Auf der Stadtseite sind sehr ansehnliche Gasthäuser 113 errichtet, unter denen Erzherzog Karl das hervorragendste; hier ist der Landungsplatz der Dampfschiffe, wo auch namhafte Vorräthe an Kohlen, Holz und Waarenballen aufgehäuft sind. Man sieht auch hier flache Böte, in denen die Waschweiber lautschwatzend ihr Werk treiben. Dann traten wir in eine Kirche, die im Style des vorigen Jahrhunderts reich und bunt verziert war.
Wir schritten nach dem Markte zurück, wo ein lebendiger Verkehr sich entwickelt hatte. Wir nahmen besonders die stattlichen Schaufenster der Kaufleute in Augenschein, die überaus geschmackvoll und zierlich angeordnet waren. Da sah man z. B. einen Kaiserlichen Adler aus Angelhaken, Heften und Nadeln hübsch zusammengestellt, dann die verschiedenen Backwerke, die halbmondförmigen Kupfeln, die Brezeln und die echinitenartigen Brötchen zu einem Ganzen geordnet. Die Läden der Korbflechter zeigten Tische, Stühle, Körbe, Consolen und andere kleinere Gefäße; sehr reich waren die Läden mit Porzellan aus Ellnbogen und Kadan; die Kunsthandlungen hatten Heiligenbilder, Portraits der Helden des letzten Krieges und Scenen aus demselben ausgestellt. Reich an niedlichen Arbeiten waren die Vorräthe der Gipsgießer, der Goldschmiede, die prachtvolles Kirchengeräth, Leuchter, Monstranzen und Kelche zur Schau gestellt hatten. Linz ist eine Fabrikstadt, und die Schaufenster der Schnittwaarenhändler 114 zeigten geschmackvolle Baum- und Schafwollenstoffe. In einer Nebengasse reizte der Laden eines Wachswaarenhändlers, der mit Kerzen, wächsernen Blumen, Engeln, Heiligen angefüllt war.
Wir schritten sodann durch das stattliche Landhaus, dessen venetianisches Portal in buntem Marmor und Gold prangt, und gelangten sodann auf die Promenade, die mit schönen Platanenalleen verziert ist. Hier findet sich ein elegantes Kaffeehaus, und von hier gelangt man nach der breiten Landstraße mit sehr ansehnlichen öffentlichen Gebäuden und Kirchen.
Wir hatten dasmal die Absicht, die öffentliche Bibliothek zu beschauen, und trafen, obschon eben Ferien, den Secretair derselben, einen freundlichen, diensteifrigen Mann. Zunächst sah ich die Kataloge mir an. Dann legte mir Herr Laurenz Christlbaur eine sehr sorgfältig gearbeitete Uebersicht über die Geschichte der Anstalt und die vorzüglichsten Schätze derselben vor. Die Bibliothek gehört eigenthümlich dem Stifte Kremsmünster; der Kaiser giebt jährlich 300 Gulden zu anderweiten Anschaffungen. Sie hat etwa 20,000 Bände, die in mehreren Zimmern trefflich aufgestellt und gut gehalten sind. Sie besitzt die Petersburger Acten, die Wiener Jahrbücher der Literatur, gute historische Werke, kann aber bei den sehr beschränkten Mitteln nicht sonderliche Fortschritte machen.
115Wir begaben uns in das Zimmer der Handschriften; viele derselben mußten früher nach Wien wandern. Doch waren noch manche schätzbare Sachen vorhanden, wie ein schönes Evangelium aus dem 12., eine deutsche gereimte Bibel aus dem 14. Jahrhundert mit einigen sehr interessanten Miniaturen, ein deutsches Gebetbuch des 15. Jahrhunderts. Besonders merkwürdig ist ein gemaltes Herbarium des 16. Jahrhunderts, welches an das in der Königlichen Bibliothek zu Dresden (B. 71.) aufbewahrte von Kenntmann erinnert.
Wir dankten dem freundlichen Collegen für die zuvorkommende Güte, mit der er uns diese Schätze erschlossen, und setzten unsere Wanderungen durch die Stadt fort. Zunächst war unser Ziel die Höhe außerhalb der Stadt, welche das Jesuitenkloster trägt. Wir gelangten an die berühmten, in den weichen Sandstein eingeschnittenen Bergkeller, die 300 Fuß tief in den Berg hineingehen, und aus denen schornsteinartige Luftzüge hervorragen. Hier werden die Bier- und Weinvorräthe der Linzer Wirthe aufbewahrt, bevor sie Verzehrungssteuer davon entrichten. Wir stiegen den Hohlweg aufwärts, rechts sah der Thurm der Jesuiten mit dem rothgelben gothischen Giebel aus dem grünen Laube hervor. Wir wandten uns jedoch links und gelangten auf eine Anhöhe, die die herrlichste Ansicht über die Stadt und das Donauthal gewährte. Die Thürme der Stadt stellen sich 116 stattlich dar. Die bekannten Maximiliansthürme, die ich im Jahre 1838 genauer betrachten konnte, bemerkt man von hier oben gar nicht, wie denn der Reisende, der von jenen Thürmen keine Kunde hat, sie bei dem Hereinfahren auf der Pferdebahn meist übersieht und keine Ahnung hat, welch’ ein militairisch wichtiger Punkt die Stadt Linz ist.
Wir begaben uns vor Tisch noch auf den Markt, um die Wachtparade zu sehen. Wir hörten die einfache Trommel und sahen die Wachtmannschaft, bestehend in einem Offizier mit etwa 25 Mann, ganz einfach der Hauptwache zuschreiten, wo die Ablösung in aller Ruhe stattfand. Eine Parade gab es nicht, wie wir denn weder in Salzburg, noch in Wien eine solche zu sehen die Freude hatten.
Bei Tische trafen wir mehrere Offiziere, anspruchlose heitere Männer, die sich ihre und ihrer Freunde Erlebnisse aus den letzten Kriegen mittheilten. Es macht einen freundlichen, wohlthuenden Eindruck, daß sich durchweg die in gleichem Grade stehenden Offiziere der Kaiserlichen Armee du nennen.
Wir verweilten nicht länger, als nothwendig, bei Tische und waren eben in unser Zimmer zurückgekehrt, als ein Brief aus der Heimath eintraf und die Versicherung brachte, daß dort Alles in bestem Wohlseyn. Briefe aus der Heimath sind dem Reisenden wahre Erquickungen, 117 wenn ihr Inhalt ein befriedigender ist und wenn er schon Tage lang darauf gehofft hat.
Wir traten nun aufs Neue unsere Wanderung an; zunächst besuchten wir die Brücke und betrachteten die in der Nähe derselben gelagerten mannichfachen Schiffe; dann nahmen wir unsern Weg aufwärts am rechten Ufer des Stromes, dessen grünlich graue, trübe Fluth sehr rasch dahinströmt. Auf dieser Seite ist das Ufer gemauert. Es kamen gewaltige Holzflöße von Regensburg her. Bei einem Gasthofe mit öffentlichem Kegelgarten sah man ansehnliche Vorräthe von den Sohlenhofer Kalksteinplatten, die hier und längs der Donau zum Belegen der Hausfluren und Vorsäle benutzt werden und durchgängig einen Quadratfuß Flächeninhalt haben. Mancherlei Fuhrwerk begegnete uns auf der Straße, meist mit den kolossalen Pinzgauer Rossen bespannt. Wir bemerkten nächstdem auch hier die auffallende Größe und Wohlbeleibtheit der Hunde. Katzen sah man wenige. Was uns bereits in Salzburg und dessen Umgebungen aufgefallen, war die Seltenheit der Vögel in den Gefilden. Die bei uns so häufigen Krähen, Feldtauben, Sperlinge und andere Vögel erschienen außerordentlich selten. Wild haben wir gar nicht gesehen.
Es war uns noch übrig, den Kirchhof zu besuchen, der, außerhalb der Stadt gelegen, eine große Fläche Landes einnimmt. Man passirt zunächst den Linz-Gmundener 118 Bahnhof und schreitet an einer langen, weißen Mauer hin, ehe man in die Allee tritt, die nach dem Eingange hinführt. Das Innere des Kirchhofs ist durch mehrere Mauern in verschiedene Räume getheilt. Wie in St. Sebastian zu Salzburg, ziehen sich längs der Mauern Familiengrabstätten hin, die jedoch nicht übermauert sind. Man war eben mit Hinwegräumung einiger Mauern beschäftigt. Das Ganze machte durchaus nicht den würdigen Eindruck der Salzburger Todtenstätten. An Denkmalen war wenig Ausgezeichnetes vorhanden. Auch vermißten wir die sorgfältige Pflege der Gräber. Gar auffallend war ein, wohl dem 17. Jahrhundert angehöriges Relief, welches in die Kirchhofmauer eingelassen war. Es war eine Darstellung der Sündfluth. Das Ganze war durch eine Wolkenschicht in zwei Theile geschieden. Der obere Theil zeigte eine wohlbesetzte Tafel, an welcher Männer und Frauen Speis’ und Trank im Uebermaß zu sich nahmen und sich herzten und küßten. Einer der Männer gab bereits die genossenen Speisen wieder von sich. Andere tanzten paarweise neben der Tafel. Links stand die Arche und vor derselben Vater Noah, der mit der Hand den in toller Lust sich ergötzenden Leuten abmahnend winkte. Ein Mann im Vordergrunde beantwortete diese Winke mit einer überaus unanständigen Geberde. Unterhalb der Wolkenschicht sah man die Sündfluth, Menschen und Thiere, mit den Wellen 119 ringend und vergebens nach Rettung strebend. Die Figuren waren etwa sechs Zoll hoch, die Ausführung sehr mittelmäßig. Am Eingange des Kirchhofes war neben der Wohnung des Todtengräbers eine Menge zerbrochener Todtenkreuze und Sargbreter aufgehäuft, was den übelen Eindruck, den das Ganze machte, nicht eben zu mildern geeignet war.
Auf dieser Seite der Stadt beginnt die große Ebene, die sich bis hinter Wels zieht. Das Land ist gut angebaut, die Vorstädte dehnen sich hier weit heraus, unter anderen auch die sehr belebte Landstraße.
Wir begaben uns mit einbrechender Dämmerung nach Hause und nahmen eine neue Verpackung unserer Sachen vor, dann aber gingen wir in die Gaststube, wo wir Gesellschaft und belehrende Unterhaltung über österreichische Zustände fanden.
Der 12. September, Freitag, brachte einen wolkenbedeckten Himmel, welcher freilich für die bevorstehende Donaufahrt nicht eben tröstliche Aussichten verhieß. Wir verfügten uns nach dem Dampfschiffe Wien. Ein Kanonenschuß gab das Zeichen zur Abfahrt, und man suchte für das kleine Gepäck eine sichere Stätte in der Kajüte. Von den Ufern sah man im raschen Vorüberfliegen von hier aus durch den immer dichter strömenden Regen nur wenig mehr als den Schimmer der Gebäude. Man näherte sich dem Strudel und 120 Wirbel, wir traten in die Mäntel gehüllt auf das Verdeck. Das Dampfschiff bezwingt jedoch die Wellen gar leicht, und der Reisende, der nicht besonders auf den Strudel aufmerksam gemacht wird, dürfte denselben leicht übersehen. Der Strom ist allerdings zwischen Felsen ziemlich zusammengedrängt, die selbst bei dem dichten Regengrau einen erhabenen Anblick gewähren. Der Name Ips, das im Nibelungenlied genannte Pechlarn, namentlich aber Mölk lockten uns aufs Neue aus der Kajüte. Namentlich stellt das Benedictinerstift Mölk sich überaus stattlich dar. Weiterhin folgt das liebliche Dürrenstein, über der Stadt sieht man die Trümmer des Schlosses, in dem Richard Löwenherz gefangen gehalten wurde.
Jetzt ließ auch der Regen nach, und wir gewahrten in der Ferne alsbald das Ziel unserer heutigen Fahrt, das große Benedictinerstift Göttweig auf dem runden 800 Fuß hohen Waldberge. Auf der Donau überholten wir einen flachen Kahn, in welchem 14 Pferde standen; sie schienen derartiger Fahrten gewohnt zu seyn und zeigten durchaus keine Befremdung über das vorbeibrausende Dampfschiff. Die Matrosen trafen nun Anstalt, den Mastbaum und den Schornstein niederzulassen, was mit Leichtigkeit bewerkstelligt wurde. Alsbald schlüpfte das Schiff durch die hölzerne Donaubrücke vor der Stadt Stein und schwenkte dann in großem Bogen dem Lande zu.
121Stein liegt am Ufer der Donau lang hingedehnt, und die vielen hier aus- und eingeschifften Menschen und Waaren, sowie die zahlreich am Ufer aufgeschichteten Kästen, Fässer und Ballen zeigen, daß wir uns hier auf dem Stapelplatze von Mähren befinden. Wir begaben uns mit dem Gepäck in Eder’s Gasthaus und traten auf den nach der Donau gerichteten Balcon, von wo aus wir mit dem Fernglase uns die Gebäude von Göttweig näher zu bringen suchten. Wir bemerkten die langen Fensterreihen, die stattlichen Frontispize und Thürme.
Nachdem wir mit Speis’ und Trank uns erquickt, ergriffen wir die Reisetaschen und schritten am Ufer entlang nach der Donaubrücke, deren Länge 570 große Schritte beträgt. Wir schritten durch Mautern, ein alterthümliches, sonst unansehnliches Städtchen, und gelangten auf die Hochstraße, an welcher hie und da Betsäulen angebracht sind. Zu beiden Seiten ist wohl angebautes Feld. Wir bemerkten unter den Früchten auch Mais. Der Himmel schien sich zu lichten, in bester Hoffnung rollten wir unsere Mäntel auf und schritten rüstig fürbas. Es kam uns ein Gensdarm entgegen, der uns artig um unsere Pässe ersuchte und uns freundlichst Auskunft über den Fußweg nach dem Stift ertheilte.
Der Weg steigt fortwährend an, und das Städtchen Furth ist schon ziemlich hoch am Fuße des Berges von Göttweig gelegen. Hinter dem Ort führt der Fußsteig 122 in den Wald. Da begann aufs Neue der Regen, so daß wir Mäntel und Schirm eilig entfalten mußten. Der Weg ist steil, doch wohl gebahnt, und so sahen wir nach einer halben Stunde die weißen Klostermauern über uns durch die grünen Wipfel der Kiefern blinken. Wir schritten nun neben den alterthümlichen Resten der alten Burg über die Brücke in den Hof, wo sich das zwischen zwei Thürmen erhebende Kirchenportal stattlich darstellt. Wir traten in die Klosterpforte und übergaben dem Pförtner unsere Karten mit der Bitte, sie unserem Freunde, dem Bibliothekar des Klosters, zuzustellen. In wenigen Minuten hörten wir seinen Tritt, und er stand im Kleide des heiligen Benedict vor uns. Die Freude des Wiedersehens war um so größer, als die Ungunst der Witterung sie noch vor wenigen Tagen sehr zweifelhaft gemacht hatte.
Der Freund geleitete uns auf unsere Zimmer, die eine prachtvolle Aussicht auf das Donauthal gewährten. Es war ein hohes Gemach mit blauen reichvergoldeten Ledertapeten, solidem Parket, reicher Stuccaturdecke, Sammetstühlen und Marmortischen. In prachtvollen Goldrahmen blinkten venetianische Spiegel. Das Zimmer meines Begleiters, etwas kleiner, war mit einem großen Gemälde, Apollo und Marsyas, verziert. Für alle Bequemlichkeiten war wohl gesorgt. Die Toilette wurde rasch geordnet und dann zunächst dem Herrn Abt ein 123 Besuch abgestattet. Se. Gnaden empfingen mich mit Herzlichkeit und Wohlwollen.
Nachdem wir uns etwas erfrischt, begaben wir uns nach der Bibliothek; sie ist in einem geräumigen, durch zwei Stockwerke gehenden Saale aufgestellt. Die Decke ist mit Stucco und Fresken geschmückt, der Fußboden ist Marmor, die Bücherschränke bestehen aus braungebeiztem Holze, das reich geschnitzt und mit Vergoldung geziert ist. Um das Ganze läuft eine Galerie, auf welche in der Ecke Wendeltreppen führen. Auf den in der Mitte angebrachten Tischen stehen Erd- und Himmelskugeln. Daneben befindet sich ein Gemach, das nicht minder stattlich eingerichtet ist und die Incunabeln und Handschriften enthält.
Vor Allem zeigte uns der Freund die von dem Pater Vincenz Werl überaus fleißig und sorgsam gearbeiteten Verzeichnisse der hier verwahrten gelehrten Schätze; das der Handschriften umfaßt drei Bände, die ich mir zu näherer Durchsicht erbat und mit auf mein Zimmer nahm.
Wir gingen abermals zu dem Herrn Abt und begaben uns sodann mit diesem in das Winterrefectorium, einen geräumigen gewölbten, geschmackvoll im älteren Styl gemalten Saal. Oben quervor steht die Tafel, an welcher der Abt mit den Gästen und den älteren Beamten des Stifts sitzt. Eine andere, für die jüngeren Herren bestimmte Tafel steht der Länge nach. 124
Wir traten ein, die Benedictiner reihten sich zu beiden Seiten längs der Wand, und der Prior begann das Gebet, in welches abwechselnd die übrigen, auch der Abt einstimmten. Darauf nahm man Platz, der meinige war zwischen dem Abt und dem Prior. Mir gegenüber saßen der Kämmerer des Stifts, der bekannte Geschichtforscher Friedrich Blumenberger und der Secretär des Hauses Pater Heinrich. Der Abt bedeutete, daß wir heute gerade einen Fasttag getroffen; wir versicherten jedoch, daß die Fischcoteletts unserem Appetit vortrefflich zusagten. Das Gespräch bei Tische wurde mit jener Mäßigung geführt, welche stets das Zeichen einer guten Gesellschaft ist.
Die Tafel wurde mit Gebet geschlossen. Die Väter entfernten sich meist, wir blieben mit dem Abt und unserm Freunde, der die Würde des Subpriors bekleidet, noch eine Weile bei einem Glase Wein sitzen. Dann geleitete uns der Freund durch die langen marmorbelegten Corridore nach unserem Zimmer.
So waren wir denn im Kloster. Mein Begleiter warf sich gar bald dem Schlaf in die Arme, ich saß noch beim Lichte und genoß die wahrhaft heilige Stille und Ruhe, die hier oben, hoch über dem städtischen Getreibe herrschte. Man vernahm nur das Rauschen des Mühlbachs, der unten im Thale bei Furth thätig war, und den Laut des Windes, der die Wipfel der Kiefern zu unseren Füßen aus dem Traume scheuchte.
125Wie stach dieser Aufenthalt ab gegen den auf dem Dampfschiffe und in der Cajüte desselben, wo 30 Menschen in einem Raum zusammenstaken, der 30 Fuß lang und 12 Fuß breit, aber höchstens 8 Fuß hoch war. In dem Stifte von Göttweig wohnen etwa 30 Väter; dann leben dort der Apotheker mit seiner Familie, die Oekonomen, die weltlichen Diener, Beamten und andere, die hier Beschäftigung finden, etwa 70 Köpfe, so daß im Ganzen an 100 Menschen den Gipfel des Berges innehaben.
Die Gebäude sind überaus stattlich, durchgängig steinern und massiv erbaut. Ueberaus prachtvoll ist die große Treppe, deren Wände weiß und goldverziert sind. Die Decke schmückt ein colossales Freskobild von Troger, den Sieg der Wahrheit und die Apotheose Kaiser Karls VI. darstellend. Die langen, breiten und hohen, mit ansehnlichen Fenstern erleuchteten Corridore sind mit Gemälden verziert. Einige derselben stellen Scenen aus dem Leben des heiligen Benedict dar, gemalt von Hötzendorffer, der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts im Kloster und von demselben lebte. Hötzendorffer war Landschaftmaler, und seine legendarischen Bilder sind auch vorzugsweise höchst genial ausgeführte Landschaften, in denen der Heilige und seine Genossen nur als Staffage erscheinen. In einem der Corridore sieht man die Bilder einiger Aebte, von denen mich das des würdigen Gottfried Bessel am meisten interessirte. Das Stiftsgebäude 126 ist sehr umfangreich, sein Grundriß ist von der Gestalt des Berges bedingt. Die nach der Donau gerichtete Seite ist befestigt. Die Kirche befindet sich in der Mitte des Ganzen. Das Stift ist jedoch noch nicht vollendet, und der Theil, welcher gegenwärtig noch unscheinbare Wirthschaftsgebäude enthält, sollte eine stattliche Façade darstellen und den Hof umschließen, dessen Glanzpunkt die Kirche gebildet haben würde, deren Thürme noch nicht beendigt sind. Im Jahre 1718 brannte das Stift ab; Abt Gottfried hatte einen Plan entworfen, den er nach Wien einsandte. Kaiser Karl VI. fand denselben jedoch der Bedeutung des Stifts keineswegs angemessen. Er ließ durch seinen Hof-Baumeister Lucas von Hildebrand einen anderen herstellen, und der Abt begann nach diesem den Bau. Er hatte die Absicht, die eigentlichen Wohnstätten zuletzt auszuführen, da er die Ueberzeugung hatte, wenn nur erst das dulce hergestellt, werde sich das utile schon von selber finden. Allein der Convent war anderer Ansicht, und diesmal wurde das Nothwendige dem Schönen vorgezogen. Am 2. Juli 1719 legte Abt Gottfried den Grundstein, 1720 erhob sich die Ostseite des Hauses, und am 8. Nov. 1724 konnte der Convent einziehen. 1728 vollendete der Hausmaler Pyß das Deckenbild des Sommerrefectoriums, 1743 malte Troger die Decke der Treppe. Abt Gottfried starb 1749, Mittlerweile waren die unseligen Schlesischen Kriege in Gang 127 gekommen, welche eine so große Fülle von Elend in ihrem Gefolge hatten. Der Bau des Stiftes gerieth ins Stocken, und noch heute steht die Abtei Göttweig unvollendet da, eines der unzähligen Denkmäler jener Zeit der Zerrissenheit der deutschen Nation und des unfruchtbaren Ehrgeizes ihrer Glieder.
Sonnabend, den 13. September, war ich bei guter Zeit am Schreibetisch, um mir aus dem Verzeichnisse der Handschriften Notizen zu machen. Der erste Band desselben enthält eine fleißige Zusammenstellung des Wissenswürdigsten aus der Handschriftenkunde, nebst einer Darstellung der ältesten, in Göttweiger Manuscripten vorkommenden Papierzeichen, woran sich dann das Verzeichniß der alten bis zum 16. Jahrhundert reichenden Handschriften schließt. Der zweite Band ist vorzugsweise durch die Beschreibung des gelehrten Apparates des Abts Gottfried gebildet, den dieser zu Herstellung des Chronicon Gott vicense brauchte. Der gelehrte Verfasser des Katalogs, Pater Vincenz Werl, gegenwärtig Hofmeister des Göttweiger Hofes in Wien, hat einen Abriß der Lebensgeschichte des Abtes Gottfried beigefügt. Die Ordnung der Bessel’schen Papiere ist ebenfalls sein Werk. Zu beachten ist dabei, daß Pater Vincenz bei seiner schwierigen Arbeit durchaus nicht mit der Fülle von Hülfsmitteln versehen war, die bei derartigen Arbeiten so wünschenswerth sind.
128Unter den Handschriften finden sich freilich keine Schätze ersten Ranges; nur wenige reichen, wie das Psalterium (2.), in’s 9. und, wie die Tironischen Noten, in’s 16. Jahrhundert. Indessen bieten doch die 800 Bände manchen schätzbaren Beitrag zur Literatur des Mittelalters. Vor Allem zeigen sie, welchen ausdauernden Fleiß die Benedictiner in ihren literarischen Arbeiten hatten; in der einen Handschrift befindet sich das Verzeichniß der Bücher, welches Bruder Heinricus der Kirche zubrachte. Die Manuscripte gehören zumeist der kirchlichen Literatur an. Doch ist auch Anderes darunter, wie Marbod’s Gedicht von den Edelsteinen, die Mirabilia Romae, Hermanns Chronik, Solinus, ein Herbarium des 13. Jahrhunderts. Die Gesta Romanorum, Guido von Columna, Walters Alexanderis, viele Schriften des Albertus Magnus, ein deutsches Trojabuch, Gesundheitsordnungen, Büchsenmacherei u. dgl. Daß die Marienliteratur und die der Legenden, Predigten u. dgl. zahlreich vertreten ist, scheint ganz in der Ordnung.
Mich interessirte vor Allem die Lebensskizze Gottfried Bessel’s, welche Vincenz Werl dem 2. Bande seines Handschriftenkatalogs vorangeschickt hat. Abt Gottfried war unstreitig einer der bedeutenderen Prälaten seiner Zeit und ein nicht minder gewandter Diplomat, als gründlicher Gelehrter und thätiger Kunstfreund. Er war zu Buchheim am 5. Sept. 1672 geboren und muß eine 129 gründliche Bildung genossen haben. Er war sehr thätig bei der Bekehrung der braunschweigischen und mecklenburgischen Fürsten und hatte deshalb viele Reisen unternommen. Seine gelehrte Thätigkeit als Gründer einer nationalhistorischen Akademie in seinem Stifte, deren Frucht das Chronikon, wovon leider nur zwei Theile erschienen sind, ist allgemein anerkannt. Neu war es mir, daß Abt Gottfried bereits in dem ersten Viertheil des vorigen Jahrhunderts eine Trivialschule bei dem Stifte errichtet hat. Möchte es doch dem Manne, der dazu unstreitig die meiste Befähigung und die nothwendigen Hülfsmittel hat, Herrn Vincenz Werl, gefallen, eine ausführliche Lebensbeschreibung dieses gelehrten Prälaten zu schreiben und dadurch einen wichtigen Beitrag zur deutschen Culturgeschichte des 18. Jahrhunderts zu liefern. Die bis jetzt gedruckten Nachrichten über Abt Gottfried sind zu dürftig[2].
Meine Arbeit ward oft unterbrochen, denn wenn die Sonne aus den Wolken trat, ward ich nach dem Fenster gezogen, um die herrliche Aussicht zu genießen, die sich hier darbot. Da sah man das prächtige Donauthal, zur Linken das Städtchen Dürrenstein mit den über demselben 130 am Berge hangenden Trümmern der Burg. Unten an unserem Berge zeigte sich das Städtchen Furth, mit dem Fernglase bemerkte man, was auf den Straßen vorging, weiterhin Mautern mit dem spitzigen Steinthurme, umgeben von Weingärten und Feldern. Dann erblickte man die Donaubrücke von 19 Jochen. Drüben aber an den waldbekrönten Rebenbergen streckten sich die sauberen Städte Stein und Krems, zwischen denen das ehemalige Kloster Und gelegen, in langer Linie hin. Nach der rechten Seite dehnte sich das Grün der Landschaft in unabsehbarer Ferne an dem glänzenden Spiegel der Donau dahin. Welche Wolkenbildungen, welche Lichtwirkungen gab es da zu beobachten.
Beim Kaffee, zu welchem appetitliche Weißbrotschnitten gegeben wurden, überraschte uns unser Freund. Er führte uns zunächst in die Kirche, deren Chor außen noch die Ornamente des 15. Jahrhunderts an sich trägt. Das Gebäude wurde beim Brande am 17. Juni 1718 von den Flammen verschont. Schiff und Thürme sind modern, letztere nicht vollendet. Das Innere der Kirche ist ganz in dem neueren, österreichischen Kirchenstyle ausgeschmückt. Der bilderreiche Altar wird durch zwei ein Frontispice tragende Säulen gestützt. Er ist überreich bemalt und vergoldet. Die Chorstühle, so wie die Seitenaltäre zeigen ebenfalls reiches Schnitzwerk. Decke und Säulen prangen in Stuccoornamenten und Frescomalerei. 131 Der Singechor trägt eine Reihe musicirender Engel; dahinter glänzt die in drei Abtheilungen gebaute Orgel. Die Grabstätten der letzten Aebte sind in den Abseiten des Chors. Nicht ohne innige Ehrfurcht sahen wir die Marmorplatte, hinter welcher die Gebeine des verdienten Abts Gottfried und die seines Nachfolgers Magnus Klein ruhen.
Wir begaben uns sodann in das Naturaliencabinet, das ein achteckiges Thurmzimmer einnimmt. Im Vorzimmer befindet sich das Modell des Werkes, welches dem Stifte vom Fuße des Berges das nöthige Wasser zuführt, dann aber auch ein, mit Florentiner Pietradura trefflich ausgelegter Schrank.
Die Naturaliensammlung enthält nur wenige zoologische Gegenstände, einige Schädel, Mumientheile, Muscheln, Narwalzähne; desto schätzbarer ist die Abtheilung der Mineralogie. Es sind nicht allein zahlreiche, sondern auch ansehnliche und seltene Sachen, besonders Erze hier beisammen. Der in der Nähe entdeckte Gurhofian oder dichte Bitterkalk war natürlich in Prachtexemplaren vertreten. Da seit einigen Jahren unter den Herren kein Mineralog vorhanden und mehrere neu dazugekommene Stufen noch nicht bestimmt waren, so übernahm mein Begleiter eine Durchsicht und Anordnung der Sammlung, wobei einige der Patres ihm hülfreiche Hand leisteten.
132Zu Mittag Punct Zwölf rief die Glocke die Brüder in das Refectorium; wir holten den Herrn Prälaten ab. Wir waren nun schon ganz bekannt mit unseren liebenswürdigen Herren Tischgenossen, die uns zum Theil im Naturaliencabinet aufgesucht hatten. Der Prior, Pater Benedict Wild, und der Pater venerabilis, ein alter, fast erblindeter Herr von 84 Jahren, vernahmen gern sächsische Nachrichten, während Pater Blumenberger interessante Mittheilungen über die mit den zum Stift gehörigen Ortschaften obschwebenden Ablösungsangelegenheiten machte. Auch hier hat man dem Kloster Arges zugemuthet und seit dem Jahre 1848 jede Abgabe hartnäckig verweigert. Ja die Demokraten haben oft genug aufgefordert, dieses Pfaffennest zu zerstören. Die Herren Patres sind jedoch im Besitze von 6 dreipfündigen Kanonen und 60 gezogenen Büchsen, mit denen sie die ihnen treuergebenen Klosterleute bewaffnet hatten. Das Kloster ist nächstdem befestigt und war auf einen plötzlichen Ueberfall genügend vorbereitet.
Nach Tische folgten wir dem Prälaten mit unserem Freunde und dem Secretair, dem heiteren Pater Heinrich, auf sein Zimmer, um eine Tasse Kaffee einzunehmen. Der Prälat bewohnt eine Reihe Zimmer mit der Aussicht nach der Donau. Hier sind einige nette Kunstwerke aufgestellt, namentlich ein Crucifix aus Elfenbein von besonderer Schönheit, eine heilige Magdalene von Van 133 Dyk und mehrere gute Portraits von Mitgliedern des Hauses.
Wir begaben uns sodann in die Naturaliensammlung, wohin die schöne Aussicht und die übrigen, noch vorhandenen anderweiten Merkwürdigkeiten lockten. Es waren mehrere Richtschwerter hier aufbewahrt, deren eins mit folgender Inschrift versehen war:
DER-KAVFT-E-DAZ VAIL-1444.
WIRT . VNT. E . DAS . VERLORN . WIRT.
DER . STIRBT . E . DAS . ER . KRANCK . BIRT.
Daneben steht ein Rad. Auf der anderen Seite ist: der Galgen eingeschlagen und der Name des Waffenschmieds oder des Besitzers: MICHAEL * PRUNER * Der Spruch muß unter den Scharfrichtern der Donaulande sehr beliebt gewesen seyn, da wir denselben bereits in Salzburg gefunden hatten. In einem der Mineralienkästen sah man eine viereckige Flasche mit engem Halse, in deren Inneres ein ganzes Bergwerk aus mehreren Stockwerken eingebaut war. Die Bergleute hatten die alte sächsische Tracht und rothe Hosen. Das eigenthümliche Werk stammte jedenfalls aus dem vorigen Jahrhunderte. Von einem Hüttenwerke waren nur noch Trümmer vorhanden. Nächstdem gab es Bezoarsteine, seltsam gestaltete Wurzeln, Mosaiken, Korallen und andere Curiosa, die man ehedem als Verzierung der Naturaliensammlung aufstellte.
134Ich ging dann mit dem Collegen in die Bibliothek und ließ mir die Handschriften vorlegen, die ich mir in dem Katalog ausgezeichnet hatte. Es sind sehr schätzbare Sachen, namentlich Kirchenbücher, vorhanden. Ich bemerkte als ein Prachtstück ein nautisches Werk, auf dickes Pergament gezeichnet und in der bekannten Art der Portolanen schön mit Farben und Gold erhöht: Christoph. Eusenii Sacerdotis descriptio Archipelagi & Ciclarum aliarumque insularum vom Jahre 1422. Dabei befanden sich aber auch noch Karten von Sicilien, Sardinien, Corsika und England. Das Ganze war trefflich erhalten.
Noch schöner ist Nr. 453, ein Breviarium des 15. Jahrhunderts, auf Pergament mit flandrischen Miniaturen und Randmalereien von der höchsten Zierlichkeit und Vollendung. Unter den ersteren zeichnet sich ein Ecce homo aus, dann ein Blatt, das den schwarzen Tod auf einem schwarzen Elenn mit schwarzer Sense darstellt, der die Päpste und Fürsten abmähet. Die Randleisten zeigen Feldblumen, Safran, Erdbeeren, dann auch Vogelkäfige in den reichsten Arabesken.
Wir sahen dann einige der zahlreichen Bände durch, welche den Apparat zu dem Chronicon Gotvicense bilden. Diese Bände enthalten unter Anderem auch die überaus sorgfältig auf Wachspapier ausgeführten Durchzeichnungen der Urkunden, die Abt Gottfried in Kupfer 135 stechen ließ. Hier wird ferner die umfangreiche Correspondenz dieses gelehrten Prälaten aufbewahrt. Diese zahlreichen Briefe, Blätter und Hefte hat der überaus fleißige Pater Vincenz Werl auf das Gewissenhafteste und Trefflichste geordnet, numerirt und verzeichnet. Darunter finden sich auch deutsche poetische Versuche Bessel’s, die gewiß für die Charakteristik desselben höchst wichtig sind.
Als es dunkelte, kam Pater Wilhelm mit meinem Sohne in die Bibliothek, aus der ich mir einen Miscellancodex auf mein Zimmer nahm, der eine deutsche poetische Bearbeitung der Legende von der heiligen Catharina enthielt.
Wir spazierten noch ein wenig ins Freie, besahen die älteren Partieen des Hauses, die gegenwärtig von den Oekonomen benutzt werden, und gingen außen herum. Von hier aus sieht man den steilen Berg hinab in ein liebliches Thal, das den Brunnen enthält, welcher das Stift mit Wasser versorgt. Dort unten ist eine Mühle, ein Dörflein, die Geburtsstätte des Herrn Prälaten, und ein Kirchlein, bei welchem die verstorbenen Brüder ihre letzte Ruhestätte finden.
Wir traten nun an die massiven Festungswerke, die in der That unersteiglich scheinen, da der Berg hier überaus steil abfällt. Es ist diese Nordseite ziemlich felsig und unfruchtbar. An einigen Stellen steht der Granit 136 zu Tage. Hier ist die Aussicht nach Dürrenstein sehr schön.
Wir kehrten, da ein Regenwetter aus Nordost heranzog, in das Haus zurück und begaben uns in das neben dem Refectorium gelegene Billardzimmer, dessen Wände mit einer kleinen Bildergalerie verziert sind. Wir fanden hier den Pater venerabilis Victorinus, der in den Kriegsjahren um 1809 eine dem Stifte gehörige Pfarrei innehatte. Er erwähnte, daß damals ein königl. sächsischer Hauptmann bei ihm im Quartiere gelegen, der ihm gegen die Anforderungen der Kriegsvölker schützende Abwehr geschafft habe. In jenen Tagen litten die Stifter Oesterreichs außerordentlich. Die französischen Soldaten richteten besonders in den Weinkellern gewaltige Verheerungen an. Dem Kloster Göttweig hätte die Ehre, Napoleon einige Stunden zu beherbergen, fast den Untergang gebracht. Der Kaiser hatte sich in den Kaiserzimmern mit einigen Generalen über die Operationen berathen. Da bemerkt ein Adjutant, daß die mit Tapeten bekleideten Wände hohl sind, und beschuldigt die Väter, daß sie dem Kaiser diese Zimmer in der Absicht angewiesen, um in den hohlen Wänden einen Horcher aufzustellen. Man überzeugte jedoch die kriegerischen Gäste von der Nichtigkeit dieses Verdachtes. Der gute Vater Victorin erzählte noch manchen Zug aus den unheilvollen 137 Kriegsjahren, bis wir, dem Rufe der Glocke folgend, uns in das Refectorium begaben.
Es waren bei dem Herrn Prälaten eben Briefe aus Ungarn eingegangen, wo das Stift Göttweig ansehnliche Besitzungen in dem Kloster Zalavar inne hat. Dieses Gebiet ist von bei Weitem größerem Umfange als das, welches es in Oesterreich besitzt. Der Abt sprach die Hoffnung aus, daß, wenn nur erst die nächsten Folgen der Revolution beseitigt und der Anbau jenes reich begabten, fruchtbaren Landes in ernsten Angriff genommen worden, dem Staate sich dort ganz frische Quellen des Einkommens eröffnen würden. Das größte unter den äußeren Hemmnissen sey der Mangel an Straßen und anderen Verkehrsmitteln. Der Prälat besucht von Zeit zu Zeit jenes Stiftsgebiet. Das Gespräch wandte sich nun noch den Erlebnissen der Jahre 1848 und 1849 zu; der Abt war damals zu Wien bei dem Reichstage anwesend, umgeben von den Schrecknissen der Revolution. Wir saßen noch lange in der Besprechung damaliger Zustände und in gegenseitigen Mittheilungen der Einzelheiten.
Sonntag, den 14. September, begab ich mich zeitig an den Schreibtisch. Draußen tobte der Sturm und warf Regenströme an die Fenster. Ich begann die Copie der Legende der heiligen Catharina aus der wohlerhaltenen, zierlichen Pergamenthandschrift. Unser Freund erschien nach dem Frühstück und fragte an, ob wir wohl geneigt wären, 138 die Kirchenmusik mit anzuhören; ich nahm den Vorschlag mit Dank an und bat nur, daß man uns in der Kirche einen Platz anweisen möge, wo wir durch unsere Gegenwart keine Störung verursachen könnten. Bald darauf klangen die wohlgestimmten Glocken der Kirche, durch die Wolken brach sich ein Sonnenstrahl Bahn. Vom Corridor aus sah man Landleute zur Kirche schreiten. Halb Zehn erschien unser Freund und geleitete uns auf das Musikchor; hier saßen einige der Herren Benedictiner mit ihren Streichinstrumenten bereits an den Pulten; der eine spielte Cello, ein alter achtzigjähriger Herr handhabte den Violon, vor den Pauken saß Pater Paulus, ein ebenfalls schon sehr bejahrter Herr. Nächstdem verstärkten einige Laien die Musik. Der Regens chori, Pater Hermann, stand bei dem Chor der Knaben.
Die Messe war von Michael Haydn und wurde von den Mitwirkenden mit wahrer Meisterschaft ausgeführt. Die Krone des Ganzen war meinem Gefühl nach das Ave Maria von Michael Haydn. Wir verließen mit herzlichem Dank für diese musikalische Anregung sodann die Kirche, deren Altar sich heute im reichen Kerzenschimmer überaus stattlich ausnahm. Das Presbyterium oder der hohe Chor ist um 13 Stufen über dem Schiff der Kirche erhöht, so daß die im Schiffe versammelten Andächtigen die heiligen Handlungen fortwährend im Auge haben.
139Wir begaben uns hierauf in dasjenige Thurmzimmer, welches die Alterthümer, die Münzen und die Kupferstiche enthält. Wir sahen zunächst die Münzen. Besonders zahlreich und vollständig sind die römischen vertreten, unter denen wir Prachtexemplare in Gold und Silber fanden. Doch fehlt es auch nicht an jenen griechischen Goldmünzen, welche als wohlerhaltene Kunstwerke erscheinen. Man zeigte uns ferner eine große Anzahl mittelalterlicher Bracteaten, dann wohlbesetzte Reihen größerer Medaillen in Silber, dabei auch die auf Gottfried Bessel mit der Ansicht des Klosters (siehe das Titelblatt).
Wir vernahmen die Mittagsglocke und eilten nach dem Refectorium; auf dem Corridor trafen wir den Herrn Prälaten. Heute zum Sonntag ward ein Gericht mehr aufgetragen, auch nach dem Essen Kaffee servirt. Nach Tische begaben wir uns in das Billardzimmer, um die hier aufgehängten Gemälde näher zu betrachten. Es sind meist Genrebilder und Landschaften der deutschen und niederländischen Schule. Ersterer gehört ein Mann in der Tracht des 16. Jahrhunderts, der den Virgilius studirt, letzterer eine überaus eigenthümliche Allegorie. Auf einem Pulte liegt ein geschlossenes Buch in einem jener leichten Pergamentbände, wie sie im 17. Jahrhunderte in Spanien und den spanischen Niederlanden üblich waren. Daneben steht ein Messingleuchter mit Lichtscheere und einem ziemlich niedergebrannten 140 verlöschten Lichte. Dahinter machen sich Urnen, ein Todtenkopf, bronzene Münzen und Lampen bemerklich, wie die Ausgrabungen altrömischer Culturstätten sie liefern. Durch eine geöffnete Thüre blickt man in ein antiquarisches Museum. An der Wand des ersten Zimmers sind Bilder aufgehängt, eine ländliche verliebte Scene, ein betender Mann, eine Landschaft und ein Alchymist. Wir versuchten die Deutung dieser Zusammenstellung. Einer der Alterthumsfreunde, wie sie seit dem 16. Jahrhunderte am Niederrheine und in den Niederlanden durch die dort gefundenen Römerdenkmale herangebildet wurden, scheint hier seine Lebensansicht bildlich ausgedrückt zu haben. Er bekümmerte sich nicht um die durch Kriege zerrissene Gegenwart, sondern zog sich in die frühe Vorzeit zurück, der er in seinen bescheidenen Räumen einen Tempel errichtet hatte. Die Freuden der Liebe hatte er an den Nagel gehängt, ebenso die kostspieligen alchymistischen Versuche und die von umherstreifenden Kriegsleuten unsicher gemachten Landschaften. Wir waren zweifelhaft, was das Bild des Betenden bedeute. Nicht unwahrscheinlich ist, daß jener Zeitgenosse von Chevalier, Smetius, den Scaligern und anderen Philologen zu einem geheimen Cultus der olympischen Götter geneigter war als zu der Befolgung der vom Staate anerkannten Gebräuche.
Unter den hier aufgehängten Bildern hatte man zwei Landschaften mit Wasserfällen früher als Salvator 141 Rosa bezeichnet. Vorzüglich waren zwei reiche Fruchtstücke mit Kürbis und Melone. Von den übrigen nenne ich nur Landschaften von Brand, 1789, kleine Scenen von dem fruchtbaren Kremser Schmid, dann ein Frühstück, Punsch, Champagner und Weintrauben, überaus fleißig ausgeführt. Es fehlte nicht an Aquarellen. Die ganze Sammlung mag etwas über 100 Nummern haben. Sie ist erst in neuer Zeit zusammengestellt worden und lag früher unbeachtet in abgelegenen Räumen wild durcheinander.
Von hier begaben wir uns abermals in das Thurmzimmer zu den Münzen und Kupferstichen. Diese kostbare Sammlung füllt über 200 Bände, und die deutsche Schule allein hat 12000 Blätter, über welche Pater Vincenz Werl ein sorgfältiges Verzeichniß gefertigt hat. Hier zeigte man uns einen ganz eigenthümlichen Calender, einen Prachtband, der 12 Doppeltafeln enthält, welche die in Email ausgeführten Bilder der Calenderheiligen vorstellen.
In dem Vorzimmer sind viele Reliefs in Marmor, Alabaster und Bronze aufgehängt. Ein Schrank enthält Majolicagefäße, gemalte und geschliffene Glasbecher, Elfenbeinkrüge, Becher, die aus Nautilus und anderen Muscheln gebildet sind; man sieht hier ferner allerlei orientalische Messer, Handschare, Jagdblätter, Dolche, Schuhe, Specksteinfiguren, eine Corda; dann sind mehrere kleine 142 vorrömische und römische Gefäße vorhanden, die in hiesiger Gegend ausgegraben werden, unter anderen eine Framea, ein Legionstein mit der Inschrift: LEG. II. PR. I. und einem strahlenumgebenen Mithraskopfe, dann aber auch eine große Anzahl römischer Urnen und Gefäße von der bekannten, in den Grenzprovinzen üblichen Gestalt. Zu den Seltenheiten des Cabinets gehört eine Holztafel, die mit byzantinischem Schnitzwerk bedeckt ist.
Während nun mein Gefährte in die Naturalienkammer sich begab, um dort seine Arbeit fortzusetzen, schrieb ich fleißig an meiner Legende, bis die Dämmerung mich aufzuhören nöthigte und der Freund uns in das Zimmer des Regens chori geleitete.
Hier war Kammermusik. Einige der Herren spielten ein Quartett von Mozart auf. In dem großen, hohen Zimmer nahm die Musik sich trefflich aus, zumal da die wenigen Zuhörer, worunter ein alter weltlicher Beamteter des Stiftes, sorgfältig jede Störung vermieden. Da konnte man so recht diesen Tönen folgen und dem bunten Leben, das sie entwickeln. War doch dieses Quartett ein Blick in das menschliche Leben. Die vier Instrumente stellten gleichsam vier Personen dar; die erste Violine einen jungen Menschen, dessen unbestimmtes, extravagantes Wesen immer oben hinaus will und dem die zweite Violine gar zu gern Gesellschaft leistet. Das Cello lenkt aber immer wieder mit unablässiger Milde und Geduld 143 in die rechte Bahn hinein, und es sendet oft die Bratsche nach, die ihn zurückzuführen sich bemüht, bis er denn am Ende mit den älteren Gefährten willig geht und alle Viere in schöner Harmonie dahin schreiten.
Diese Saiteninstrumente haben nun freilich den Vorzug größeren Ausdrucks. Der Künstler bildet und schafft die Töne selbst, er kann, wie Pater Heinrich sagte, mit dem Herzen spielen, und somit dringen auch seine Töne wieder zum Herzen.
In den Pausen kamen auch allerlei Erlebnisse zur Sprache, welche die Herren sowohl in ihrer Jugend in den Seminarien, als später in ihrer Stellung als Regentes chori erlebt hatten. Bei dem Stift Göttweig besteht nicht allein eine Lehranstalt für junge Theologen, sondern es ist auch hier eine Schule, ein Alumnat für die Sängerknaben des Chors.
Pater Heinrich war früher Vorsteher derselben gewesen, Pater Rudolf darin erzogen worden. Wie überall ist auch hier die liebe Jugend gleich der ersten Violine zu allerlei Unfertigkeiten und Tollheiten geneigt. Auch hier hält sie gleich den Kletten zusammen und duldet keinen Verrath.
Pater Wilhelm erzählte eine Geschichte, die sich vor geraumer Zeit in einem der österreichischen Seminare zugetragen: Einer der Seminaristen hatte den Urheber einer Tollheit dem Lehrer verrathen. Da beschließen seine 144 Cameraden, demselben eine Strafe angedeihen zu lassen, die an die Handlungen der alten Vehme erinnert. Das Loos sollte Denjenigen bestimmen, der an dem Delinquenten dieselbe zu vollziehen habe. Man kam überein, daß Keiner dem Anderen sagen solle, ob und welches Loos er gezogen. Die Zeit der Rache naht, die Mitternachtstunde schlägt. Der ganze Cötus erhebt sich auf einmal aus den Betten, schreitet mit den über den Kopf gehängten Bettdecken in feierlichem Zuge um das Bett des Sträflings, so daß diesem vor Entsetzen schier das Blut in den Adern gerinnt. Zuletzt tritt der vom Loos Gewählte an sein Bett heran und versetzt ihm eine tüchtige Ohrfeige, worauf Alles wieder in die Betten fährt. Es war unmöglich, den Thäter zu ermitteln.
Indessen rief die Glocke zur Abendtafel, wo noch anderweite Geschichten dieser Art uns lange versammelt hielten, so daß wir ziemlich spät erst zur Ruhe gelangten.
Die folgende Nacht brachte argen Sturm und heftige Regengüsse, der Morgen des 15. Septembers aber in dem Donauthale ein wundervolles Himmelschauspiel. Der scharfe Ostwind trieb von der Wiener Gegend eine gewaltige Wolkenmasse herein, die uns den Anblick der jenseits der Donau gelegenen Berge theilweise verdeckte. Diese waren von der Sonne beleuchtet und glänzten, wenn die Wolken einmal rissen, dahinter hervor. Dann drehte der Wind die Spitzen der Wolken zusammen, so daß 145 sie sich ballten. Wie sie dem Klosterberge naheten, sprühete ein feiner Regen daraus hervor.
Ich beendigte mittlerweile meine Abschrift der Catharinenlegende. Dann aber führte uns der Freund abermals in die Kirche, wo wir uns die Gemälde und die hinter dem Altare angebrachte Capitelstube ansahen, in deren Mitte ein unter dem Fußboden befindlicher Ofen angebracht war. Diese unter dem Fußboden gelegenen Oefen, wie sie ehedem in römischen Gebäuden und heute noch in China üblich, sind ohnstreitig überaus zweckmäßig, und es ist unbegreiflich, warum sie in der bürgerlichen Baukunst von Mitteleuropa gar keinen Eingang haben finden wollen.
Wir sahen dann in einer halbunterirdischen Vorhalle die aus rothem Marmor gearbeiteten Grabsteine der älteren Aebte, die jedoch nicht über das 15. Jahrhundert hinausgehen. Wir gingen darauf in die Apotheke. Sie ist überaus stattlich eingerichtet und mit der Büste eines Pferdes verziert, das an der Stirn ein prachtvolles Narwalhorn trägt. Ein anderes, nicht minder schönes Exemplar wird nebenher aufbewahrt. Es waren außerdem noch mehrere Haifische und Schildkröten aufgehängt. Die Gefäße befanden sich im besten Stand.
Hinter der Apotheke ist der Ueberrest des vom Feuer verschonten Kreuzganges, den der Apotheker für seine Zwecke benutzt. Auch hier sahen wir noch mehrere Inschriften, 146 die Erbauungsjahre andeutend, und Grabsteine, unter denen sich der eines Abtes vor allen durch treffliche Arbeit auszeichnete. Er hatte jedenfalls ehedem auf einer Tumba gelegen, stand jetzt aber an der Wand. Der alte geistliche Herr war in seiner Amtstracht dargestellt, mit Mütze, Handschuhen und Mantel bekleidet und auf das Paradebett hingestreckt. Der Stein war gemalt, übrigens aber, bis auf die Nase, ganz wohl erhalten. Ich drückte dem Freunde den Wunsch aus, daß man doch diese ganz interessanten Kunstdenkmale sammeln und irgendwo vereinigt der Betrachtung darbieten möge. So im Getriebe des Verkehrs sind sie doch nur steten Beschädigungen ausgesetzt.
Von hier begaben wir uns in die sogenannten Kaiserzimmer, zu denen von dem Sommerrefectorium eine Thür führt. Das erste derselben ist mit gewirkten Tapeten von Arras bekleidet, welche niederländische Landschaften mit Bauerstaffagen darstellen. Die venetianischen Spiegel sind mit prachtvollen Rahmen versehen. In dem zweiten Zimmer herrscht mehr moderner Geschmack, man sieht darin die Büste des Kaisers Alexander von Rußland und die Oelgemälde des Kaisers Ferdinand und seiner Gemahlin. Die Stühle sind ebenfalls mit gewebtem Zeuge überzogen und die Darstellungen mit französischen Devisen illustrirt. Wir begaben uns von da in ein anderes Thurmzimmer, das eine reizende Aussicht 147 nach Dürrenstein, Stein, Krems und der Wiener Gegend darbietet. Eine Eigenschaft, die sämmtliche Zimmer des Stiftes theilen.
Nach Tische wurde zuvörderst bei dem Herrn Prälaten der Kaffee eingenommen. Darauf hatte mein Sohn die Ehre, demselben die von ihm heute beendigte Aufstellung der Mineraliensammlung zu zeigen. Bei dieser Gelegenheit wurde nun manches der werthvollen Stücke, an denen die Sammlung so reich ist, in näheren Augenschein genommen und die Eigenthümlichkeiten desselben betrachtet.
Wir begleiteten sodann unsern Freund auf sein Zimmer, wo wir die in einen Prachtband vereinigten vier ältesten Denkmale der Buchdruckerei betrachteten. Er zeigte uns ferner seine entomologischen Sammlungen und seine literarischen Apparate. Die Herren sind ganz gut untergebracht. Ein Jeder hat ein größeres und ein kleineres Zimmer, ganz nach eigenem Geschmack eingerichtet, wo er seine Apparate beisammen hat.
Wir begaben uns sodann in die Keller des Stiftes, die sehr geräumig und der Größe der ganzen Anstalt entsprechend sind. Von hier stiegen wir auf den einen Kirchthurm, um die ansehnliche Glocke in Augenschein zu nehmen. Die Thürme der Kirche sind freilich nicht ausgebaut, man hat ein Dach aufgesetzt, um das Gemäuer gegen das Wetter zu schützen. Eben so fehlt auch die Kuppel, die man der Kirche zugedacht. Wäre der ganze 148 großartige Plan ausgeführt worden, so würde die Abtei Göttweig unstreitig eines der stattlichsten Gebäude in Deutschland geworden sein. Wie jetzt die Sachen stehen, dürfte kaum daran zu denken seyn, daß eine Vollendung jenes Planes je Statt finden werde. Die moderne Zeit hat eine anerkennenswerthe Geschicklichkeit im Zerstören und Verfallen. Zum Erhalten fehlt ihr die liebreiche Ehrfurcht für die Absichten der Väter.
Wir sahen ferner die sechs Kanonen, welche als letztes Mittel gegen rohe Gewalt hier in Bereitschaft stehen. Es sind freilich nur Dreipfünder, allerdings gar sauber aus Bronze gegossen und auf tüchtigen Gestellen — aber wir sahen Gewaltige fallen, denen mehr als sechs Dreipfünder zu Gebote standen.
»Die Zeit der Stifte und Klöster ist vorüber.« Dieses harte Wort hörten wir mehrmals auf österreichischer Erde! Als wir bei Traunkirchen mit dem Dampfschiffe vorüber fuhren, sagte ein vielgereiseter kluger junger Mann hebräischer Abkunft: Die Pfaffen haben sich doch immer die besten Plätze ausgesucht. Man muß sie ihnen abnehmen. Ich bemerkte ihm, daß alle diese geistlichen Stifte Privateigenthum seyen, wozu der Staat nie einen Heller gegeben, und daß es ein himmelschreiendes Unrecht, wenn man die Hand darnach ausstrecke. Unsere Urväter haben aus Dankbarkeit für die vielfachen, nicht blos geistlichen, sondern auch oft sehr 149 materiellen und reellen Nutzen bringenden Wohlthaten der Kirche diese Stifte beschenkt. Sie rechneten darauf, daß die Urenkel für ihre Stiftungen dieselbe Ehrfurcht haben würden, welche sie für die Vermächtnisse ihrer Väter hatten. Die Mönche, denen sie Felder und Gelder übergaben, unterrichteten ihre Kinder, schrieben und lasen ihre Briefe und Urkunden, milderten ihren Zorn und ihre Wildheit, verklärten ihr Gemüth, trösteten sie in Noth, Angst und Tod, pflegten sie, wenn sie elend und krank waren, lehrten sie das wüste Land anbauen, brachten ihnen aus der Ferne nutzbare Samen und Kräuter, schützten ihre Unterthanen gegen ihren Jähzorn, unterrichteten sie in nützlichen Künsten — sie begruben ferner die Todten unserer Väter, erhielten das Andenken derselben und waren ihre treuen Rathgeber und Freunde. Der Jüngling konnte diese Thatsachen nicht widerlegen.
Die neue Zeit ist stark im Vergessen, daher ihre Undankbarkeit.
Es machten die sechs Dreipfünder einen gar traurigen Eindruck auf mich. Sie kamen mir vor, wie Schienen an einem gebrochenen Arm, wie Binden an einer Wunde.
Wir traten aus dem Thore und umschritten den Berg, da die Sonne eben mild und freundlich, wie tröstend das Benedictinerstift bestrahlte. Der Berg ist mit wohlerhaltenen Wegen umgeben, an denen hie und da 150 Ruhebänke angebracht sind. Unter den Kiefern suchten wir uns Blumen zum Andenken an die Stätte, wo uns so viel Wohlwollen und Liebe zu Theil geworden. Wir fanden noch blühende Erdbeerstauden. Weiterhin hütete ein Hirt seine Schafheerde, begleitet von einem jener kolossalen Hunde, die hier zu Lande heimisch sind und die unsere Bewunderung erregt hatten. Wir gelangten zu einer felsigen Partie, die einen prächtigen Anblick in’s Thal gewährte. Dann stiegen wir aufwärts zu einem Pavillon, unter welchem sich der Ausfluß des aus dem Thale gehobenen Wassers befindet. Nahe dabei ist auch die Bahn, auf welcher die Holzvorräthe heraufgeschafft werden.
Wir traten dann an den, an der Südseite des Stiftes gelegenen Blumengarten, wo die herbstlichen Astern bereits ihre Blüthe entfaltet hatten. Nicht minder freute uns das muntere Leben, welches hier eine allerliebste Katzenfamilie entwickelte, welche gemeinsam die zierlichsten Arabesken um Blumenstengel und Rosenstämmchen bildete.
Wir begaben uns sodann in das gemüthliche Zimmer des Regens chori. Die Freunde ergriffen die Saiteninstrumente und erfreuten uns durch ein Trio von Beethoven, bis die Glocke zur Abendtafel rief, nach deren Beendigung wir noch lange beisammen waren.
Dienstag, der 16. September, brachte einen schönen klaren Morgen mit einem frischen Nordostwind. Wir waren 151 eben am Kaffeetisch, als es klopfte. Der Herr Prälat trat in Reisekleidern zu uns; er hatte eine Berufsreise nach St. Pölten vor. Wir nahmen herzlichen Abschied und drückten dem trefflichen Herrn unseren innigen Dank aus für das liebevolle Wohlwollen, das er uns bewiesen hatte. Wir begleiteten ihn an seinen Wagen, in den er mit dem Pater Kämmerer einstieg.
Ich begab mich sodann in das Sommerrefectorium, um das von dem genialen Pyß ausgeführte Deckengemälde nochmals genauer in Augenschein zu nehmen. Es stellt die Hochzeit zu Kanaan dar. Der Künstler hat da, wo die Wände an die Decke stoßen, ein Geländer angebracht, hinter welchem in antiken Baulichkeiten die Gestalten in frischen Farben erscheinen. Er selbst ist über einer Thür, den Hut in der Hand und flott herabgrüßend, zu sehen. Es ist eine kräftige lebensfrohe Gestalt.
Die Wände des Refectoriums sind mit Klosteransichten und den Portraits von Franz I. und Maria Theresia geschmückt. Die Hauptbilder stellen Göttweig dar, gemalt von Joh. Sam. Hötzendorffer, der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in dem Kloster lebte. Das eine Bild zeigt das Stiftsgebäude in der Gestalt, die es vor dem Brande gehabt, das andere dasselbe in der Vollendung des großartigen Planes, mit ausgebauten Thürmen und der Kuppel. Jedes dieser Gemälde ist über zehn Schritt lang. Die kleineren Bilder stellen 152 Landhäuser dar, die das Kloster in der Nähe besitzt. Die Bilder sind mit großer Feinheit und Leichtigkeit ausgeführt.
Von hier aus begaben wir uns abermals in die Kaiserzimmer, dann aber in die bei der Kirche befindliche Schatzkammer, die nicht minder schätzbare, aber doch meist moderne, aus dem vorigen Jahrhundert stammende Schmucksachen besitzt. Die Monstranzen, Kelche, die Fistula Eucharistiae, die silbernen Hände, die Abtstäbe, Ketten, Weihrauchgefäße, dann die Festkleider, Infuln, Casulen u. s. w. waren trefflich gehalten und in geräumigen Schränken aufgestellt. Am interessantesten waren mir der alte, einfache Abtstab des Bischofs Altmann und seine Gebeine, die in einem besonderen Behältnisse hier aufbewahrt wurden.
Indessen schlug die Stunde des Abschieds. Der Diener meldete, daß der Wagen bereit stehe. Die trefflichen Männer, die uns so viele Freundschaft bewiesen, geleiteten uns die Treppe hinab, und wir stiegen in den eleganten Wagen, den zwei kräftige Braune alsbald zum Thore hinauszogen. Der Fahrweg umschließt den hohen Klosterberg in weitem Bogen und gewährt schöne, reiche Aussichten in die Thäler. Wir kamen durch das Städtchen Furth und rollten immer abwärts und vorwärts. Göttweig zeigte sich nun in der Höhe, und wir sahen die Fenster unserer Zimmer. Diesmal gelangten wir auch 153 in das Innere von Mautern. Im schönsten Sonnenschein fuhren wir über die breite Donaubrücke und bogen dann in die lange Straße, welche die Stadt Stein bildet. Wir hielten an der Hinterseite von Eder’s Gasthaus und entließen den treuen Fuhrmann.
Wir nahmen unser hier zurückgelassenes Gepäck in Empfang, besorgten die Billets zum Dampfschiff und ließen uns auf dem, der Donau zugewendeten, Balkon nieder, wo uns ein kräftiges Frühstück zur weiteren Fahrt stärkte.
Vor uns lag, allerdings in namhafter Ferne, auf hohem Berge das prächtige Benedictinerstift, wo wir so freundliche Aufnahme gefunden. Wie gern hätten wir noch länger hier oben verweilt unter den so kenntnißreichen, als wohlwollenden Männern. Wie manche Frage war uns noch übrig, wie wenig hatte ich von den handschriftlichen Schätzen der Bibliothek benutzen können.
Indessen war das Dampfschiff auf der Donau herabgeschwommen und legte sich an’s Land. Wir stiegen ein und nahmen auf dem Verdecke Platz. Das Schiff Marie Dorothea ward als besonders guter Segler geschildert.
Wir sahen so lange als möglich dem Stiftsberge nach — endlich verschwand er. Der Himmel umzog sich mittlerweile mit Wolken; der Regen ward ärger, und wir mußten in die Kajüte flüchten, wo ich endlich von dem 154 Geschwirr der Durcheinanderredenden in festen Schlummer gebracht wurde, bis mein Sohn mich benachrichtigte, daß der Regen nachgelassen. Ich stieg wieder auf das Verdeck, in der Ferne erschien ein dunkler Kirchenthurm — es war der St. Stephansthurm von Wien.
Bald war Nußdorf erreicht. An dem Ufer hielt eine Unzahl von Wagen, Omnibussen und Fiakern, zwischen Gepäck, Waarenballen und Kohlenbergen in der Straße. Gensdarmen schritten ordnend und beseitigend umher. Wir nahmen einen Fiaker in Beschlag, das Gepäck ward aufgenommen, und wir fuhren nun zwischen Landhäusern vorwärts, als es eben drei Uhr war. Bald waren wir in der Vorstadt; an der Linie fragte ein Mauthbeamter, ob wir Zollbares bei uns hätten, und als wir ihm erklärten, unser Gepäck bestehe nur in Kleidern, gebrauchter und frischer Wäsche, hieß er uns sofort weiter fahren. Ein Vertrauen, welches wohl Kapot und Uniformmütze meines Sohnes hervorgerufen.
Wir kamen nun in lange Straßen, an stattlichen Gebäuden vorüber, fuhren durch ein Thor und endlich über die Brücke nach der Leopoldstadt, und in das Thor des goldnen Lammes. Der Fiaker hatte uns versichert, daß wir kaum wo anders als hier ein Unterkommen finden würden, da eine Unzahl Fremder in der Stadt wäre. Der Fiaker verlangte 4 Gulden, wir sandten ihm drei durch den Portier und nahmen drei Treppen hoch ein Zimmer 155 mit zwei Betten ein. Nachdem wir rasch unsere Toilette gemacht, traten wir die Wanderung durch die Stadt an.
Wir überschritten die hölzerne Ferdinandsbrücke, gingen durch das rothe Thurmthor und gelangten in die überaus belebten Straßen der Stadt. Wir hatten unser erstes Ziel, die Stephanskirche, bald erreicht und umschritten dieselbe. Dieser Dom ist allerdings ein wundervolles Bauwerk, vor Allem aber der Thurm, auf dessen reichen, organischen Ornamenten das Auge behaglich von Bogen zu Bogen hinaufsteigt. Welche Fülle von Einzelnheiten bei der so einfachen und sicheren Construction. Wie ernst, altehrwürdig und doch wieder wie gut erhalten und frisch. — Immer kehrt aber das Auge zu dem Thurme zurück, der die meilenweit um ihn sich erhebenden Gebäude allesammt überragt. Wir treten in das Innere, dessen Verhältnisse dem Aeußeren entsprechen. Vor Allem fällt nächst der außerordentlichen Höhe die gewaltige Breite auf. Die Farbe der Säulen und Gewölbe ist ein von der Zeit geschaffenes Dunkelbraungrau, welches dem Hervortreten des architektonischen Details allerdings äußerst ungünstig ist.
Wir kehren auf den Platz zurück und bemerken bald den berühmten Stock im Eisen, eines der Wahrzeichen von Wien. Es ist dies ein Baumstummel, der über und über dergestalt mit Nagelkuppen, aller Größe, überdeckt ist, daß fortan kein neuer hineingeschlagen werden kann. Der Stock ist dicht an einem Hause und mit einem 156 eisernen Bande daran befestigt. Durch Menschen und Wagen uns durchschiebend, gelangten wir auf den Graben, wo wir vor allen Dingen einen Plan der Stadt Wien ankauften. Wir bewunderten die überaus große Fülle und elegante Ausstellung der Kaufläden. Da sah man zuvörderst die Aushängeschilder, nach denen die Läden genannt sind, z. B. die Jungfrau von Orleans, die Erzherzogin Sophie, die schöne Schweizerin, der Palatinus von Ungarn, der Fürst Primas, wirklich künstlerisch ausgeführt und sorgfältig gepflegt, dann aber hinter den colossalen Glasfenstern die kostbarsten Waaren geschmackvoll geordnet. Uns fielen zunächst die Sachen aus Meerschaum auf, unter denen, oben am Graben, ein Meerschaumkopf von ungemeiner Größe prangte, der 500 Gulden kostete. Ein anderer, ebenfalls sehr großer Kopf, zeigte eine Türkenschlacht; dabei sah man elegante Cigarrenspitzen, auch kleine trefflich geschnitzte Statuen aus demselben bildsamen Material. Die Läden der Gypsgießer waren nicht minder reich ausgestattet und besonders wohlversehen mit Bildwerken kleineren Umfanges. Daneben hielten uns die Ausstellungen der Kunsthändler öfter fest, wo man immer das in Oel ausgeführte Bild des jungen Kaisers findet. Daneben sind prächtige Goldschmiedgewölbe mit den geschmackvollsten Arbeiten, die Läden der Waffenhändler, wo wir genug Damascenerklingen bemerkten. Der Graben ist übrigens mit einer 157 Säule, ähnlich der Linzer, geschmückt. Auch befindet sich hier ein besuchtes Kaffeezelt.
Wir schritten nun wieder über den Kohlmarkt. Auf allen Kreuzwegen stehen Gensdarmen, welche die öffentliche Ordnung überwachen. Bei den unzähligen Fiakern — die innere Stadt hat deren allein 700 — den herrschaftlichen Equipagen, der hin- und hereilenden Fußgängern bemerkt man daher doch nirgend ein Drängen oder Stocken, man wird nirgend gestoßen und geschoben. Auffallend war mir, daß fast nirgend in den Straßen Kinder zu sehen waren. Die Gensdarmen fanden wir immer bereit, uns auf unsere topographischen Anfragen Auskunft zu geben. Soldaten sah man verhältnißmäßig sehr wenig in den Straßen von Wien.
Wir gelangten nun über den sehr belebten Michaelisplatz, an das imposante Gebäude der kaiserlichen Burg. Der Hof mit den gewaltigen Portalen, zu deren Seiten colossale Statuen des Hercules, enthält eine Wache der Grenadiere, vor welcher eine Batterie Geschütz aufgefahren ist. In der Mitte befindet sich das eherne colossale Denkmal des Kaisers Franz. Der Kaiser ist in antikem Costüm, zu seinen Füßen sind die vier Tugenden — das Ganze spricht jedoch nicht an, von keiner Seite bildet es eine schöne Gruppe. Wir begaben uns aus dem Schloßhof auf den freien Platz, und hier tritt uns das einfach schöne Burgthor entgegen, von welchem die Inschrift: 158 Iustitia regnorum fundamentum, Kaiser Franz I. Wahlspruch, herabglänzt.
Wir wendeten uns zurück, durchschritten die Burg und betraten den Josephplatz, der mir als einer der schönsten Plätze in Europa erscheint. In der Mitte erhebt sich das schöne Denkmal Josephs II. Der Kaiser sitzt in antikem Costüm, die Rechte segnend ausgestreckt, auf einem Roß, das bei Weitem feinere Formen zeigt als das des Mark Aurel auf dem Capitol; besonders schön ist das aus hellgrauem Granit gearbeitete Piedestal. Wir konnten uns kaum von diesem schönen Platze trennen, dessen Gebäude so bedeutende gelehrte Schätze enthalten.
Wir traten in das Michaeler Bierhaus, wo wir Officiere, Geistliche und Männer aus den höhern bürgerlichen Ständen trafen, die bei einer Pfeife Tabak oder einer Cigarre Zeitungen lasen und besprachen. Wir stärkten uns mit vorzüglichem Roßbratel und schritten durch die wohlerleuchteten und noch mehr belebten Straßen nach unserem Gasthofe zurück.
Mittwoch, den 17. September, waren wir schon zeitig auf den Beinen und nahmen unseren Kaffee in dem unserem Gasthof gegenüberliegenden Kaffeehaus ein, das bereits ziemlich gefüllt war. Trotz der kühlen Luft saßen doch Herren und Damen vor demselben im Freien. Man bekommt den Kaffee in Gläsern, die in einem Messing-Futteral stehen, und zwei Küpfel, wofür man 10 159 Kreuzer entrichtet. An den kleinen Tischchen saßen schon ämsige Zeitungsleser. In den inneren Sälen standen Billarde. Unser erster Gang galt der Stephanskirche, die, je öfter man sie betrachtet, an Interesse gewinnt, da man immer wieder Neues aus der endlosen Fülle der Einzelnheiten herausfindet. Das bunte Dach, aus glasirten Ziegeln, hat allerdings für den, der es zum ersten Mal sieht, etwas Fremdartiges und erinnert an die Teppiche der Tiroler. Indessen gewährt es doch dem Ganzen eine gewisse Milde und Heiterkeit. Von hier wanderten wir durch die Straßen, deren treffliches Pflaster aus Granittafeln von 8 Zoll Durchmesser gebildet und überaus sorgsam gepflegt wird. Die zahlreichen Paläste und öffentlichen Gebäude sind überaus reinlich gehalten und haben durchgängig hellen, meist gelblichen Anstrich. Wir besuchten die Peterskirche, die mit einer prächtigen Kuppel gekrönt ist, welche ein reiches Freskobild hat. Das Innere der Kirche ist mit Marmor und Gold glänzend verziert. Dann traten wir in die Augustinerkirche, einen einfachen, heiteren gothischen Bau, der das berühmte Grabmal der Gemahlin des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen enthält. Es ist ein umfangreiches Werk aus weißem Marmor, dessen Kern eine auf mehreren Stufen ruhende Pyramide mit einem offenen Eingang bildet, welcher mehrere weibliche und männliche Gestalten, eine Urne tragend, zuschreiten. An der Thür ruht auf einem 160 schlafenden Löwen hingestreckt, die zarte Gestalt des fackeltragenden Genius trauernd. Die Arbeit ist, wie an allen Werken Canova’s, meisterhaft. Glücklicher Weise wurde bei dem Brande und Zusammensturz des Thurmes dieser Kirche das Innere nicht verletzt.
Wir gingen nun nach dem in der Spiegelgasse gelegenen Göttweiger Hof, um einen Brief des Herrn Prälaten an den Hofmeister, Pater Vincenz Werl, dessen trefflicher Katalog mir so nützlich gewesen, abzugeben. Pater Vincenz empfing uns gar freundlich. Wir sprachen über die Bibliothek des Stifts und die Geschichte desselben, namentlich den Abt Gottfried Bessel. Auf meine Vorstellung, wie wünschenswerth eine Lebensschilderung dieses Prälaten sei, vernahm ich mit Freuden, daß Pater Vincenz, der so genau mit Bessel’s Arbeiten bekannt ist, nicht abgeneigt zu einem derartigen Unternehmen ist. Wir sahen bei ihm eine lithographische Ansicht des Stifts mit dem unter demselben gelegenen Städtchen Stein und erhielten diese nebst einem Bronzeexemplar der Medaille auf Abt Bessel, deren Rückseite ebenfalls das Stift darstellt, zum Geschenke. Wir nahmen herzlichen Abschied von dem so gelehrten, als wohlwollenden geistlichen Herrn und begaben uns nach dem Josephsplatze, nachdem wir uns bei St. Michael für fernere Anschauungen durch ein Roßbratel vorbereitet.
161Wir traten in das Gebäude der Kaiserlichen Bibliothek. Das stattliche Treppenhaus ist mit römischen Inschriften verziert. Von da tritt man in das Bureau, welches zu gleicher Zeit als Lesezimmer dient. Es ist ein geräumiger Saal mit zwei Reihen Tafeln, die dicht mit Lesern besetzt waren. Meine Freunde, die Herren v. Karajan und D. Ferdinand Wolf waren auf dem Lande, doch verschaffte uns der Sohn des Letzteren, der ebenfalls im Dienste der Bibliothek ist, einen Führer für den großen Saal. Der Anblick dieses Saales ist nun allerdings überaus würdig und großartig. Die Länge beträgt nicht weniger als 246 Fuß, die Breite 45 Fuß, die Höhe aber entspricht diesen Verhältnissen. Ueberaus prächtig ist die al fresco gemalte Decke, die freilich bei dem Brande im October 1848 etwas vom Rauche geschwärzt worden ist, der von dem brennenden Dache des Naturaliencabinets eindrang. Mächtige Marmorsäulen tragen den gewaltigen Bau. Marmorstatuen, Erd- und Himmelskugeln stehen in der Mitte, die Bücher ziehen sich in braunen Gestellen die Wände entlang, durchweg in anständigen, ja prächtigen Einbänden. Das Ganze macht den Eindruck einer Kirche, eines Tempels der Wissenschaften. Ich gedachte der Männer, die hier gewirkt, Peter Lambricius, Kollar, Kopitar, Johannes Müller, Denis u. a. In mehreren Pulten liegen unter Glas die vorzüglichsten Schätze, wie die Peutinger’sche Tafel, der Dioscorides, Otfried, Autographen von Tasso u. s. w. Unser freundlicher Führer 162 zeigte uns noch den Raum, wo ein Theil der 36,000 Manuscripte steht. Viele der orientalischen waren in Cedernholz gebunden.
Mir lag daran, einen Totaleindruck des großen Ganzen zu gewinnen — vom Einzelnen konnte hier nicht die Rede seyn. Mein Zweck war erreicht, und wir schieden von unserem Collegen, der mir noch einen Leitfaden für diese Schätze zum Geschenk machte.
Wir traten in’s Antikencabinet. Baron v. Sacken begrüßte uns herzlich. Er war eben damit beschäftigt, die aus Hallstadt eingegangenen reichen vorchristlichen Alterthümer zu ordnen. Es waren höchst interessante Sachen, die doch von den in Deutschland jenseits der Donau gefundenen und den nordischen wiederum verschieden sind. Unter den österreichischen Funden fällt der Mangel an Steinwerkzeugen auf; Bronze ist das herrschende Metall. Wir sahen hier schöne Schwerter, wenige Frameen, dann einen Dolch, an dem die eherne Scheide noch vorhanden; der Bronzegriff ist außerordentlich reich verziert, die platte Klinge aus Stahl. Sehr reich sind die Schmucksachen, Arm-, Hals- und Beinringe, so wie die bekannten Fibeln aus Bronze, worunter jene, die, aus zwei zusammenhängenden platten Spiralen bestehend, mit einem Dorn den Mantel auf der Brust zusammenhielt. Andere Fibeln sind mit Glas verziert. Von gebranntem Thon, buntem Glas und Bernstein 163 hatte man Ketten und Halsgehänge. Es fehlte nicht an den langen Bronzenadeln mit vollem Knauf, die theils als Haarnadeln, theils als Pfriemen zum Nähen des Pelzwerkes dienten. Ein überaus seltsamer Schmuck ist ein, an einem Stiel befestigter Bronzering, an welchem drei andere Ringe und eine Menge Dreiecke an kleinen Kettchen befestigt sind. Unter dem kleineren Geräth erscheinen Angelhaken und kleine Pfeilspitzen. Von Gefäßen hat man große aus Bronzeblech zusammengenietete Kessel, dann aber auch Kübel, Lampen und Schalen. Von den Schalen ist der Rand der einen mit einer Reihe von je zwei Seepferden zwischen einer Sonne umgeben. Die Bruchstücke irdener Gefäße zeigen reich punktirte Linien. Die Steinsachen, ein durchbohrter Steinkeil und ein in der Weise der Nordamerikaner mit einer Rinne umgebener Stein, dann einige Schleifsteine, sind nur schwach vertreten. Eines der merkwürdigsten Stücke des ganzen Fundes ist die kleine eherne Statue eines Mannes, der mit emporgehobenen Armen und aufgerichtetem Haupte dasteht und in die Klasse der Bronzen gehört, die ich auf der 19. Tafel meines Handbuches der germanischen Alterthumskunde zusammengestellt habe.
Außer diesen merkwürdigen Sachen enthielt das Zimmer noch eine Menge der interessantesten Bronzen, worunter allein siebzehn in den Kaiserlichen Hochlanden ausgegrabene Erzhelme, von denen mehrere den griechischen 164 Helmen des Museo Burbonino und den auf den griechischen Vasen dargestellten gleichen. Gar seltsam sind die riesenhaften Brustspangen, die vielleicht zum Schmucke der den Celten eigenen gewaltigen Götterbilder dienten. Dabei sah man prächtige Aexte aus Bronze. In überaus reicher Auswahl sind etruskische und römische Bronzestatuetten vorhanden. In den Schränken an der Wand wird die Lamberg’sche Vasensammlung aufbewahrt, für deren Detail mir jedoch diesmal keine Zeit vergönnt war. In demselben Saal waren in einem Schranke mehrere chinesische und indische Bildwerke aufgestellt, so wie ein aus Holz geschnitzter Kopf, den ich für ein altmexikanisches Idol erkennen mußte.
In dem daranstoßenden Zimmer befindet sich das berühmte Kaiserliche Münzcabinet. Unser Freund zeigte uns die prachtvollen colossalen Goldmünzen mit dem Bilde des Kaisers Valens und der Umschrift: D. N. VALENS AVGVSTVS und FORTVNA ROMANORVM. Die größte hat 180 Ducaten Gewicht. Die Kaiser gaben derartige Geschenke an verdiente Männer, von denen sie bei festlichen Anlässen, wie unsere Orden, auf der Brust getragen wurden. In dem folgenden Salon befinden sich die antiken und mittelalterlichen Goldschmucke, die in Ungarn gefunden worden sind, dann die wundervollen berühmten Onyxe, die allerdings in artistischer, antiquarischer und mineralogischer Hinsicht wahre Wunderwerke 165 zu nennen sind. Hier befindet sich ferner jene Achatschale von 28 Zoll Durchmesser, die aus der burgundischen Erbschaft an Kaiser Maximilian I. gelangte. Die Schale ist überaus dünn und hat eigenthümliche, an chinesische Arbeit erinnernde Henkel. Im Innern derselben erblickt man von der Seite in schwachem Umriß den Namen XPISTOS. Das Werk soll bei der Eroberung von Constantinopel durch die französischen Kreuzfahrer nach dem Norden gekommen seyn. Nächstdem wird hier auch Cellini’s berühmtes Salzgefäß mit Neptun und Cybele aufbewahrt.
So sahen wir denn eine Menge der interessantesten Alterthümer leibhaftig vor uns, die wir aus Abbildungen und Beschreibungen schon ziemlich genau kannten, außerdem aber so viel des Neuen, daß sich mir die Ueberzeugung aufdrängte, ich müsse später einmal auf längere Zeit hierher zurückkehren und eine ruhigere, gründlichere Betrachtung vornehmen.
Wir gingen mit dem Freunde durch das Kärnthner Thor und verließen ihn hier, um uns über das Glacis nach dem Belvedere zu begeben. Dieses große, lang hingestreckte Gebäude liegt auf einer Anhöhe und gewährt von der Gartenseite einen reichen Anblick auf die Stadt, aus deren Häusermasse St. Stephan wie ein König gebietend emporsteigt. Der Belvedere-Palast enthält die berühmte Gemäldegalerie, deren Besuch ich für 166 diesmal aufgab. Wer eine Galerie sehen will, muß vor Allem die dazu nothwendige Zeit mitbringen. Der Garten ist im älteren Style angelegt, ein Werk des berühmten Eugen von Savoyen; es sind mehrere gut gearbeitete Statuen und Gruppen, Bassins und dergleichen vorhanden. Nach der Stadt zu lehnt er sich an ein kleines Palais, das gegenwärtig die Ambraser Sammlung umschließt.
Wir gingen zurück und gelangten an die Carlskirche, ein modernes, aber sehr bedeutendes Bauwerk. Die Kirchenfaçade wird durch zwei große Säulen eingefaßt, um welche sich, wie an den Trajan- und Antoninsäulen, Reliefdarstellungen emporwinden. Die Capitäle tragen zwei Doppeladler, deren Flügel ein Geländer bilden. Dazwischen ragt die prachtvolle Kuppel hervor, die, bei der hohen Lage der Kirche, weithin sichtbar ist, obschon ihre Höhe die des St. Stephan bei Weitem nicht erreicht.
Weiter schreitend, kamen wir zu dem großen Gebäude des polytechnischen Instituts; es waren eben Ferien, und wir mußten auf den Anblick der reichen, hier verwahrten Sammlungen Verzicht leisten. Wir schritten jedoch durch die Höfe des Gebäudes, das die älteste und größte derartige Anstalt in Deutschland ist, wie denn hier über 2000 junge Leute, aus allen Theilen der Monarchie, mit Ausnahme von Böhmen, ihre Ausbildung erlangen. 167
Wir kehrten in das Lamm zurück, um unsere reichen Anschauungen dem Papiere anzuvertrauen. Dann aber begaben wir uns nach der Jägerzeile; dies ist unstreitig eine der berühmtesten und längsten Straßen in ganz Deutschland, die durchweg aus stattlichen Häusern besteht, zwischen denen sich auch eine nette, moderne Kirche befindet. Hier war nun weniger reges Treiben. Von da schreitet man nach dem Prater, diesem großen, von stundenlangen Baumreihen durchzogenen Wald. Man sah Equipagen dahinrollen, Reiter tummelten ihre Pferde, Fußgänger schritten dahin. Doch war jetzt nicht die Zeit des Praterlebens, die Kaffeehäuser zur Seite zeigten wenig Gäste. Nur um den Circus, wo jetzt die Beranek’sche Gesellschaft Vorstellungen gab, sah man dichtere Menschengruppen. Wir ließen uns in einem Kaffeehaus nieder und stärkten uns durch Salami und ein wohlschmeckendes leichtes Bier. Ich bemerkte auf der ganzen Reise, daß der Oesterreicher die starken Getränke nicht liebt. Der österreichische Wein ist lieblich und mild, aber bei Weitem nicht so stark wie die Weine des Elbthales. Die starken Biere, die sich von Baiern aus nach dem Norden von Deutschland verbreitet haben, fanden in Oesterreich keine Liebhaber. Den Branntwein kennt man fast gar nicht, mit Ausnahme des Sliwowitzer.
Wir begaben uns nach dem sogenannten Wurstelprater; hier befinden sich mehrere kleine Kneipen und 168 Schenken mit Kegelbahnen und Caroussels und derartige Anstalten, wo einige Kinderwärterinnen und Soldaten sich eingefunden hatten. Es war ein trüber Abend, der die Menschen in’s Freie zu locken durchaus nicht geeignet war. Am Ausgange des Praters saß ein alter, grauer Invalid vor einem Tischchen, auf welchem sein einziger Freund, ein kleiner Hund, dürftig angeputzt, bei einem Metallgefäßchen saß, in welches wir einige Kreuzer einlegten.
Wir schlenderten durch die Jägerzeile der Stadt zu und gingen durch die außerordentlich belebten Straßen, deren Kaufläden sehr glänzend erleuchtet waren. Der Menschen waren bei Weitem mehr auf den Beinen als am Tage. An der Stephanskirche und anderen Stellen sah man erleuchtete Heiligenbilder. Wir schritten dann auch über die Kettenbrücke, die hübsche Aussichten auf beiden Seiten darbietet, und gelangten wiederum zur Leopoldstadt und dem Gasthof, um von den vielfachen, reichen Anschauungen des Tages auszuruhen.
Donnerstag, den 18. September, gingen wir zuerst in das Kaffeehaus und von hier zunächst nach der Karlskirche, die wir bis jetzt nur von außen kennen gelernt. Das Innere ist überaus prachtvoll, die rothen Marmorsäulen tragen die al fresco gemalte Kuppel. Sie ist gleich der Peterskirche von Johann Fischer von Erlach, dem genialen Baumeister des prachtliebenden Karls VI., gebaut. 169 Auf dem Glacis exercirte ungarische Infanterie, doch mit deutschem Commando, welches durch die ganze Kaiserliche Armee geht. Die Bewegungen waren ruhig und sicher.
Nun schritten wir zum Kärnthner Thor herein und begaben uns nach dem Josephsplatz, um in das Kaiserliche Naturalienkabinet zu gehen. Man wies uns zuerst in das Parterre, das lediglich für die Säugethiere bestimmt ist. Hier sah ich zum ersten Male das Wallroß so wie seine Verwandten. Unter den übrigen waren die Dickhäuter, wie Elephanten, Nashörner, Tapire, Nilpferde trefflich vertreten. Sehr reich war die Sammlung der Antilopen, Bären, Büffel, Giraffen, Ure u. s. w. Auch die Hunde- und Katzenarten waren in großer Vollständigkeit aufgestellt. Nicht minder reich war die Sammlung der Vögel aller Welttheile in prächtig erhaltenen Exemplaren, worunter namentlich die farbenreichen Tauben, Hühner, Colibri, Papagaien und die Wasservögel zu längerem Verweilen nöthigten. Zuletzt sahen wir die Fische, die theils in trefflich ausgestopften Exemplaren, theils in Spiritus aufbewahrt wurden. Die meisten befanden sich in Gläsern, die eigens nach der Gestalt der Insassen, theils oval, theils platt gefertigt waren. Die Namen waren überall beigefügt und die ganze Ausstellung streng systematisch. In einer der Abtheilungen sah man die gesammten Fischzähne, nach ihrer Form in meißel-, messerförmige u. a. gesondert, aufgestellt. 170
Mein Begleiter wünschte nun aber endlich die Mineraliensammlung zu betreten, die freilich heute dem Publicum nicht geöffnet war. Wir begaben uns jedoch dahin, ließen unsere Karten dem Custoden desselben, Herrn von Partsch, übergeben und erhielten vorläufig die Einladung, immer in den Saal zu treten. Das ist nun freilich eine Kaiserliche Mineraliensammlung, die mehrere Säle einnimmt. Die Mineralien sind nach dem System unseres Landsmannes, Friedrich Mohs, geordnet, dessen Büste in Marmor hier aufgestellt ist. In der Mitte der Säle befindet sich eine Reihe von Glaspulten, welche eine Propädeutik der Mineralogie enthalten. Sie beginnt mit einer Sammlung der Krystallformen; es folgt die Darstellung der Farben, des Glanzes, der Formen des Bruches, der Härte, so daß alle bei der Bestimmung der äußerlichen Merkmale der Fossilien vorkommenden Ausdrücke, wie weingelb, lauchgrün, hellglänzend, muscheliger Bruch u. s. w., dem Lernenden vor Augen gestellt sind. Darauf kommt eine Sammlung der in der plastischen und Baukunst angewendeten Steine. Darunter befinden sich ein kostbarer Etiki oder neuseeländischer, froschartiger Götze aus dunkelgrünem Nephrit, prächtige Schalen aus Yade, eine außerordentlich reiche Sammlung geschliffener Marmore, Porphyre, Granite, Achate und Edelsteine; bei dieser technischen Abtheilung sieht man ferner Probestücke vom Material der berühmtesten Gebäude aller Zeiten, 171 Obeliskengranit, Pariser, Wiener, Dresdner Straßenpflaster, ferner den im Norden von Europa zu Waffen und Werkzeugen verwendeten Feuerstein. Eine andere Abtheilung bietet die technische Sammlung der Metalle dar. Die Golde, Platine und Silber, in gediegenem und vererztem Zustande, sind überaus reich vertreten.
Nachdem nun der Beschauer auf diese Art gehörig mit allen Ausdrücken der mineralogischen Sprache bekannt gemacht worden ist, beginnt die eigentliche oryktognostische Sammlung mit dem Gas und Wasser. Bei dem letzten Pulte der Mitte wird der Beschauer an die Wand gewiesen, wo die Pulte sich fortsetzen, über denen aber Glasschränke sich erheben, in welchen auf sauberen Consolen die auserlesenen Schaustücke aufgestellt sind.
Wir waren noch im ersten Saale, als Herr Custos v. Partsch erschien und uns auf das Herzlichste begrüßte. Er war so gütig, meinem Sohne zu gestatten, auch an den, dem Publicum nicht gewidmeten Tagen das Museum zu besuchen. Er erklärte uns das System, nach welchem das Ganze geordnet, und führte uns deshalb durch alle Räume. Nachdem wir so eine Totalübersicht des Ganzen gewonnen und einen Hauptabschnitt beendigt, beurlaubten wir uns. Wir waren seit sieben Uhr auf den Beinen, und ein sehr mahnender Hunger stellte sich bei uns ein. Wir begaben uns in das Michaeler Brauhaus, nahmen eiligst einen Imbiß, und mein Sohn kehrte 172 in das Mineralienkabinet zurück, während ich den Cursus durch einige Kirchen fortsetzte, auch die öffentlichen Plätze und Thore in Augenschein nahm. Wie schon bemerkt, das Innere der Stadt ist nicht reich an großen Plätzen, doch sind sie durchweg mit stattlichen Gebäuden und schönen Brunnen besetzt, die denselben ein sehr vornehmes Ansehen geben. Alle diese Kirchen, die Michaeler, die Franciskaner-, die Peterskirche, sind sehr reich geschmückt, und ich fand sie immer besucht. In der Franciskanerkirche hielt mich ziemlich lange die Copie des Abendmahls von Leonardo da Vinci in römischer Mosaik fest. Dieses colossale Bild macht an der Wand und in dem prachtvollen Goldrahmen genau die Wirkung eines Oelgemäldes; doch hat die Mosaik vor dem Oelbild den unschätzbaren Vorzug, daß sie niemals nachdunkelt und, wenn sonst keine gewaltsame Zertrümmerung Statt findet, auch nicht so leicht von anderen Einflüssen zerstört wird.
Ich gab mich dem unbeschreiblichen Vergnügen hin, von Straße zu Straße ganz gemächlich hinzuschlendern, die Häuser, die Kaufläden, die Marktscenen, die Menschen, die Equipagen, die überreichen Erscheinungen aller Art, gemächlich und unbefangen zu betrachten. Es war das schönste, mildeste Wetter, und ich begab mich nun auch vor das Thor hinaus. Die breiten Glacis gewähren allerdings einen großartigen Anblick, da jenseits derselben 173 die prachtvollsten Paläste und Gebäude hervortreten, an die sich zum Theil herrliche Gärten anschließen. Ich ging auf dem Asphalttrottoir vorwärts, ruhete auf den Bänken in dem Schatten der Baumreihen, betrachtete mir die Stadtmauern und Bastionen und gelangte mit dem Blicke immer wieder zur Spitze des Stephansthurmes.
Die Zeit mahnte jedoch zur Rückkehr, und ich begab mich nach dem Josephsplatze, um meinen noch immer im Mineralienkabinet schwelgenden Sohn zu erwarten. Ich betrachtete abermals Zauner’s Meisterwerk, das auf dem fast feierlichen Platze stets einen überaus tiefen Eindruck macht und die Erinnerung an den edlen Habsburger, an Joseph II., weckt. Er steht hier nach einem mühevollen Leben, voll redlichen Strebens und rastloser Arbeit. Die Nachwelt hat sich bemüht, mit großer Gewissenhaftigkeit alle kleinen Schwächen dieses nur Großes anstrebenden Fürsten bis in die geringfügigsten Einzelnheiten zu verfolgen. Am Fußgestell lies’t man: Josepho II. Aug. qui Saluti publicae vixit non diu sed totus und Franciscus Rom. et Austr. Imp. ex fratre nepos alteri parenti posuit 1806. — Eine andere Inschrift war noch in Vorschlag, die von dem Alterthumsforscher, Hofrath von Birkenstock herrührte: Josepho II., arduis nato — magnis perfuncto — majoribus praerepto.
Jetzt kam mein Sohn mit freudestrahlendem Gesicht 174 die Treppe herunter und hatte nun vollauf zu berichten von der unendlichen Fülle der Schätze, die er gesehen, beseelt von dem Wunsche, noch länger dort oben studiren zu können.
Wir aber begaben uns nach dem Gasthofe, machten uns reisefertig und stiegen in einen der niedrigen, für 9 Personen eingerichteten Omnibus, die alle halbe Stunden vom Graben und von anderen Plätzen aus nach Schönbrunn fahren.
Wir gelangten durch die Burg auf das Glacis und die unendlich langen, außerordentlich belebten Straßen der Vorstädte. Jenseits der Linien wurden die Häuser dünner. In der Ferne traten die blauen Berge hervor, und endlich lag die prachtvolle Façade von Schönbrunn vor uns, über welchem sich auf grüner Basis die stattliche Gloriette erhebt.
Wir fuhren in den großen Hof ein, stiegen aus dem nach Hietzing weiter eilenden Wagen und schritten durch die Halle des Schlosses, in welchem stattliche grün gekleidete Garden die Wache halten.
Wir treten aus dem Schloß. Vor uns breitet sich das große Parterre aus, das auf beiden Seiten mit hohen, grünen Laubwänden abgekränzt ist. An denselben stehen mehrere Statüen aus weißem Salzburger Marmor.
Man schreitet nun auf den wohlgepflegten Sandwegen vorwärts und sieht in die zur Seite sich hinziehenden 175 langen Laub- und Baumgänge. Man gelangt zu dem Fuß eines langhingestreckten Hügels, wo ein mit weißem Marmor eingefaßtes oblonges Wasserbecken lagert, in welchem eine zahllose Menge von rothen, gold- und silberglänzenden und geschäckten Fischen sich tummelt. Dahinter erhebt sich eine colossale Gruppe aus weißem Marmor, von Neptun mit Najaden, Tritonen und Seepferden gebildet, die auf dem grünen Hintergrund sich stattlich ausnimmt. Man steigt nun den Hügel hinan und befindet sich endlich an der sogenannten Gloriette, d. h. an einem Gebäude von 300 Fuß Länge, das eine triumphbogenartige Bogenhalle bildet, die 60 Fuß hoch ist. Man steigt durch eine Wendeltreppe auf die Plattform und hat von hier aus vor sich das Häusermeer von Wien, das sich um den Stephansthurm schaart. Es ist ein wundervoller Anblick! In der Mitte der Plattform erhebt sich der colossale Kaiserliche Adler aus weißem Marmor.
Wir stiegen herab, nachdem wir Zeuge gewesen, wie polnische Damen und Herren ihre Namen an den Adler angeschrieben.
Wir schritten nun gemächlich herab und durch den Laubwald nach einem breiten Gange, der uns zu der Kaiserlichen Menagerie führte. In der Mitte derselben befindet sich ein auf Stufen ruhender, achteckiger Pavillon, der die Arras und Papagaien enthält, die in den gewohnten 176 Beschäftigungen auf ihren Ständern saßen und der zahlreich an den Fenstern stehenden Zuschauer wenig achteten.
Das Vogelhaus wird nun in dem weiten Kreise von einzelnen ummauerten Höfen umgeben, die durchweg von stattlichen Bäumen beschattet und mit hohen eisernen Gittern nach der Vorderseite geschlossen sind. Wir traten in den ersten dieser Höfe. Hier stand im Hintergrund ein sehr geräumiger Käfig mit mehreren Abtheilungen oder Scheidewänden. Wir sahen hier zum ersten Mal einen lebendigen Dachs, einen seltsamen Burschen, der sich von anderen Thieren dadurch unterscheidet, daß der Bauch und die Untertheile dunkle, der Rücken lichte Farben trägt. Er ist ganz besonders rastlos und ämsig in seinen Bewegungen und hält seine Glieder sehr sorgfältig zusammen, etwa wie Menschen, die den Kopf in die Schultern ziehen und, die Hände dicht auf der Brust zusammenreibend, mit kleinen raschen Schritten von einem Ort zum andern rennen. Neben dem Dachse wohnten drei Wölfe aus Ungarn in bester Eintracht. Auch sie waren rastlos, hatten aber freie und ungeschlachte Bewegungen. Die schlechte Taille, die langen Köpfe mit den langgespaltenen krokodilartigen Rachen, die schiefgestellten Augen gaben den Thieren etwas Unheimliches, wie sie denn auch nie ganz zahm werden. Neben ihnen hausten in seltsamen Treiben 177 mehrere ägyptische Füchse, die in der Färbung dunkler sind als die unsrigen.
Der Käfig eines anderen Hofes enthielt mehrere Prachtexemplare von Hyänen, die mit ihren schwarzen, stumpfen Nasen und den wie Pechkohle glänzenden kleinen schwarzen Augen, den hohen Schultern und dem stark abfallenden, in einem armseligen Wedel endenden Hintertheile jene afrikanischen Formen darstellten, welche auch das eingeborne Pferd von Dongola trägt. Es ist etwas in der afrikanischen Fauna, was, im Gegensatz zu der Indiens und des Kaukasus, gemein genannt werden muß. Nilpferd, Nashorn, Gnu, selbst Zebra und Giraffe haben unangenehme Formen.
Wir traten nun in den Hof, der das Affenhaus enthält, in welchem einige zwanzig Meerkatzen von Olivenfarbe ihr tolles Wesen treiben und sich daher auch stets einer zahlreichen Zuschauerschaft erfreuen.
Die Einrichtung des aus Eisendraht geflochtenen Thurmes ist überaus zweckmäßig. In der Mitte erhebt sich ein astreicher Baumstamm, der von anderen umgeben ist, die, durch Hölzer verbunden, hier oben eine Galerie bilden, die den munteren Thieren sehr willkommen ist. Von da hängen an Stricken große Reifen herab. Wir bewunderten die außerordentliche Gewandtheit, mit denen die Thiere an den Baumstämmen hinan rannten, dann oben auf dem Holzkranze, der kaum 3 Zoll breit, 178 hinliefen, sich kopfüber herabstürzten und an einem Strick oder einem Reifen ganz sicher festhingen.
Es war nun das, was wir hier sahen, eitel Affenwerk, aber man konnte nicht loskommen, denn wie in wohlgerathenen Arabesken und in der musikalischen Fuga entwickelte sich immer eine tolle Scene aus der anderen. Bald saß die eine Partei unten an dem Stamme um einen alten großen Affen von gebrechlichem Ansehen und schien aus seinen ernsthaften Mienen weise Lehren zu saugen. Bald rannte oben in den Aesten ein Paar sich haschend umher. Bald schien ein panischer Schrecken den ganzen Haufen zu packen, so daß Alles, wild durcheinanderstürzend, das bellum omnium contra omnes plastisch darstellte. Ging es in den oberen Regionen zu toll her, so legte der alte Affe seinen Kopf auf den Rücken und sah blinzend mit den Augen nach oben. Er hockte stets, nun aber bewegte er sich auf den Händen, die an den Leib gezogenen Beine nachziehend, vorwärts und kletterte bedachtsam hinauf zum Kriegsschauplatz; er schien indessen keinen nachhaltigen Respect zu haben. Das Affenhaus aber mit seiner rastlosen, fieberhaften Thätigkeit erinnerte unwillkürlich an die christlichen Westeuropäer in den verhängnißvollen Jahren 1848 und 1849, wo auch trotz aller unablässigen Thätigkeit nichts zu Stande kam und fertig wurde.
Wir gingen weiter und traten in den Hof, wo Löwin, 179 Löwe, Panther und Leopard in einem ansehnlichen Käfig gesondert neben einander wohnten. Es waren prächtige, trefflich gehaltene Thiere. Ein älterer Herr trat an die Löwin, sie näherte sich den Stäben des Käfigs und preßte sich an dieselben. Der Herr kraute ihren Hals. Dann begab er sich zum Löwen, der sich noch zutraulicher zeigte und gar auf den Rücken legte, damit die Hand des Freundes weniger Mühe habe. Wir wissen, daß jedes Thier eine Stelle an seinem Körper hat, die es gern den Liebkosungen der Menschen darbietet, die aber dem Thiere selbst nicht erreichbar ist. Es ist dieses unfehlbar eines der Mittel, durch welche die Vorsehung die Thiere an den Menschen gebunden hat. Eine solche Stelle findet sich auch in dem Gemüthe eines jeden Menschen.
In dem Hofe des Löwen fanden sich auch in ganz wohlverwahrten Eisenkäfigen ein Eisbär und ein Landbärenpaar. Innerhalb beider Käfige befand sich ein Wasserbecken und eine tüchtige Hütte. Der Eisbär, ein colossales Geschöpf, blieb ganz gemächlich am Boden liegen und hatte seine spitze Schnauze zwischen den Vordertatzen. Desto munterer waren die Landbären, namentlich das Männlein. Der Bär, durch seine Größe und dunkle Färbung vor der kleineren und helleren Gattin ausgezeichnet, ging von Zeit zu Zeit in das Wasserbecken, um die, trotz des Verbotes, von den Zuschauerinnen hingeworfenen 180 Semmelstücken herauszufischen. Dann trat er an’s Land und sah nach, ob neue Bissen im Wasser angekommen. War dies nicht der Fall, so stellte er sich auf die Hinterbeine und hielt die Vordertatzen wie ein Betender zusammen, mit bedeutsam begehrlicher Miene im Kreise umherschauend. Wollte nun gar Niemand ihn berücksichtigen, so trat er abermals ins Wasser und streckte den einen Arm durch die Stäbe heraus.
Mehrere Höfe, in denen die Giraffen, der Elephant, das Gnu, die Antilopen, die Strauße und der Kasuar, waren verschlossen, da man diese Thiere, des rauhen, feuchten Wetters wegen, in den inneren Räumen behalten mußte.
Jetzt kam die Fütterungsstunde. Wir kehrten zu den Affen zurück. Als der Wärter unter sie trat und die Speise an den Boden setzte, entwickelte sich ein reges Leben. Jeder faßte mit dem Maul und den Händen, was er erwischen konnte, und zog sich zurück. Als der eine sein Souper beendigt, setzte er sich an das Gitter und langte mit seinen Aermchen nach den Grashalmen, die hier dem Boden entsproßen waren, um sich ein Dessert zu verschaffen.
Die Zeit war sehr vorgerückt, und wir trennten uns von diesem interessanten Punkte des Gartens. Wir schritten durch die Laubgänge über das Parterre, um noch die Ruine und den Obelisken in Augenschein zu 181 nehmen, die an demselben Hügel, der die Gloriette trägt, angebracht sind. Sie nehmen sich in der herrlich grünen Umgebung gar wohl aus, zumal da sie nicht so kleinlich dastehen, wie ähnliche derartige Baulichkeiten in den gewöhnlichen Parks. Bei Weitem ansprechender war jedoch in einer dichten Baumpartie ein kleiner Tempel aus weißem Marmor, hinter welchem auf breitem Postament die liebliche Marmorstatue einer Nymphe über einer Urne ruhte, aus deren Oeffnung ein klarer Brunnen in ein Becken rann.
Wir wandten uns durch die Laubgänge nach dem Schlosse zurück, sahen nochmals nach der Gloriette hinauf und begaben uns in den Vorhof, wo uns ein, eben aus Hietzing herankommender Omnibus aufnahm.
Das Lustschloß Schönbrunn und seine Umgebung ist ein Werk von Maria Theresia und ihrem Sohne Joseph II. Es ist Alles so großartig, so edel gehalten, daß man es begreift, wie eben Napoleon hier seinen Aufenthalt wählen konnte.
Wir fuhren nun im Abendscheine nach der Vorstadt, deren lärmender Verkehr seltsam von der feierlichen Ruhe des Kaiserlichen Lustschlosses abstach. Am Michaelisplatz verließen wir den Wagen, schlenderten gemächlich durch die Straßen nach dem Graben und dem Stephansdom und begaben uns nach der Gaststube des Lammes, wo ein vortreffliches Rostbratel uns auf die Mühen des Tages labte. 182
Man speiset in den Wiener Gasthöfen nie Table d’hôte. In dem Saale steht eine Anzahl größerer und kleinerer runder und viereckiger Tische, auf deren jedem ein großer Bogen, der Speisezettel, vorliegt. Der Gast muß nun aus diesen langen Reihen das ihm Zusagende auswählen. Dies ist nun für den Norddeutschen, der die reiche Nomenclatur der österreichischen und besonders der Wiener Küche nicht kennt, keine kleine Aufgabe. Ich hielt es daher stets für das Beste und Sicherste, zu wählen, was ich für vortrefflich bereits erkannt hatte, und so kam es denn, daß ich bei derartigen Wahlhandlungen mich immer an das Rostbratel hielt, das, in’s Nordeuropäische übersetzt, Beefsteak heißt. Hier reichte man uns Sardellenbutter dazu, was ich den norddeutschen Landsleuten angelegentlich empfehlen kann.
An unserem Tisch nahm noch ein norddeutscher Kaufmann Platz, den wir bald als einen gebildeten und wohlwollenden Mann erkannten. Auch er war nicht minder, wie wir, von Wien erfreut. Auch er hatte die schönen und gesegneten österreichischen Lande mit den heiteren, liebenswürdigen Menschen liebgewonnen und theilte uns endlich mit, daß er sich entschlossen habe, ganz nach Oesterreich überzusiedeln und Grundbesitz daselbst zu erwerben. Er hatte seinen Entschluß auf eine längere Zeit fortgesetzte, sorgsame Betrachtung der österreichischen Zustände gegründet. Er versicherte uns, daß die öffentlichen 183 Lasten durchaus nicht drückend seien, daß der Verkehr nirgend freier und ungehemmter sich entwickeln könne, ja daß man kaum irgendwo ungestörter und behaglicher lebe als in Oesterreich, wenn man nur die Gesetze der Gerechtigkeit und Wohlanständigkeit beobachte.
Indessen war es spät geworden, und wir suchten unsere Ruhestätten.
Freitag, den 19. September, waren wir gar früh bereits in dem Kaffeehause, diesmal in Capot und Paletot, denn der Himmel hatte sich umzogen, und der Regen begann herabzusprühen. Wir gingen durch die Stadt nach der Karlskirche, deren Inneres wir nochmals in Augenschein nahmen. Dann begaben wir uns nach dem Belvedere, um die Ambraser Sammlung kennen zu lernen. Die Bildergalerie gab ich auf — wer wird für 2500 Gemälde weniger Zeit als mindestens acht Tage verwenden wollen.
Die Ambraser Sammlung gehört nächst denen in Dresden zu den ältesten in Deutschland; sie ward von Erzherzog Ferdinand von Oesterreich, zweitem Sohne des Kaisers Ferdinand I., der im Jahre 1595 starb, gegründet. Der Erzherzog sammelte ganz im Sinne seiner Zeit, Alles, was ihm interessant und merkwürdig, kostbar und der Aufbewahrung werth schien. Die Sammlung befand sich bis zum Jahre 1805, wo Tirol an Baiern abgetreten wurde, auf dem Schlosse Ambras. Dann 184 wurde sie nach Wien gebracht und in dem vom Herzog Eugen von Savoyen erbauten unteren Gebäude des Belvedere aufgestellt.
Wir traten zunächst in den Saal, der gegenwärtig eine Anzahl antiker Denkmale enthält, die früher in der Kaiserlichen Burg standen. Darunter zeichnet sich die Bronzestatue des Germanicus aus, welche aus der Abbildung zu Vierthaler’s Reisen in Salzburg bekannt ist. Sie ward in Steiermark gefunden. Von den übrigen Sachen ist namentlich der Sarkophag mit der Amazonenschlacht bemerkenswerth, dann mehrere Büsten römischer Imperatoren.
Von hier tritt man in die Säle, welche die Rüstungen berühmter Personen des 15. und 16. Jahrhunderts enthalten. Darunter zieht vor allem die Gestalt des riesenhaften Bauers aus Trient, der dem Erzherzog Ferdinand als Trabant diente, unsere Augen auf sich. Im Sommer 1851 zeigte sich auf der Dresdener Vogelwiese ein Neapolitaner, der 7 Fuß 7 Zoll hoch war. Der Trientiner Bauer muß den Waffenstücken zufolge jedoch noch größer gewesen seyn. Unter den Rüstungen der Fürsten und Feldherren bemerkten wir namentlich die zierlich gearbeiteten Eisenharnische mit den fußlangen Schnabelschuhen, welche in der sonst so sehr reichen Dresdener Sammlung fehlen. Besonders merkwürdig war mir eine Kettelrüstung für Roß und Mann. Dieser 185 Theil der Sammlung wurde eben durch Baron von Sacken neu aufgestellt, die Rüstungen sind in zwei Reihen übereinander in hölzernen Nischen angebracht und werden von trefflich geschnitzten, hölzernen Statuen getragen. Diese werden, wenn die Aufstellung beendigt ist, drei Säle und ein Cabinet anfüllen.
Der vierte Saal enthält eine höchst werthvolle Sammlung von Bildnissen der europäischen Fürsten des 16. Jahrhunderts, vornehmlich der dem Erzhause Oesterreich näherstehenden. Die eine Wand bedeckt ein Stammbaum desselben Hauses. Dieser Theil der Sammlung bietet zugleich eine Uebersicht der Geschichte der Portraitmalerei. Die ältesten Bildnisse reichen bis in die Zeit des Kaisers Maximilian I., so unter anderen das des Kaisers Rudolph von Habsburg, das nach dem, im Dome zu Speier befindlichen Grabmale, auf Maximilians Befehl gefertigt ist. Von diesem Kaiser, seinen Gemahlinnen und Kindern, von dem Erzherzog Ferdinand, seiner Gemahlin, der geistvollen und schönen Philippine Welser, sowie seinen Söhnen, dem Markgrafen Karl von Burgau und dem Cardinal Andreas, dann von Kaiser Karl V. und Philipp II. und deren Zeitgenossen, ist eine reiche Portraitsammlung an den Wänden des großen Saales vertheilt. Daneben finden sich mehrere Bronzebüsten des 17. Jahrhunderts.
Der fünfte Saal enthält die sogenannte Kunst- und Wunderkammer, in welcher Hirschgeweihe, die in 186 Baumstämme eingewachsen, Erzstufen, Straußeneier, Nüsse und Wurzeln, kleinere Kunstwerke in Elfenbein, Marmor, Metall, Korallen, Perlmutter, Kunstschränke, seltene musikalische Instrumente, Kleidungsstücke, einige afrikanische und indische Waffen und Geräthe, Büsten und Reliquien der Kaiserlichen Familie aufbewahrt werden.
Die letzte Abtheilung ist eine reiche Sammlung ägyptischer Alterthümer, Mumien, Särge, Grabsteine, Papyrus, Statuetten in Bronze, Stein und gebranntem Thon, Holz und anderen Stoffen, die, wenn sie aufgestellt seyn wird, mindestens den Umfang der Florentiner einnehmen dürfte.
Mein Begleiter eilte in die Mineraliensammlung voraus, ich aber betrachtete mit Herrn von Sacken die Einzelnheiten der mittelalterlichen und außereuropäischen Abtheilungen, von denen bei Weitem nicht Alles aufgestellt ist. Die zu der Ambraser Sammlung gehörigen Manuscripte sind an die Kaiserliche Bibliothek abgegeben.
Ich begab mich sodann ebenfalls in das Mineralienkabinet, um die technische Abtheilung desselben genauer zu betrachten und mir eine Zeichnung des prachtvollen Etiki zu fertigen. Wir betrachteten dann noch die gewaltigen Bergkrystalle, den Abguß des im Ural gefundenen ungeheuren Goldklumpens, die überaus zahlreiche Sammlung der Meteorsteine und schieden sodann mit dem herzlichsten Danke gegen die so 187 gelehrten, als zuvorkommenden Vorsteher der Sammlung.
Wir kehrten nun in unseren Gasthof zurück und verrichteten das so nothwendige Geschäft des Packens. Dann aber gingen wir, nachdem wir in dem Salon gespeist, nochmals in die Stadt und nahmen Abschied von dem Stephansdom und allen Gebäuden und Denkmalen, die uns so lieb geworden. Als wir nun eben unser Gepäck nach dem Bahnhof schaffen wollten, fuhr ein Wagen in’s Haus, aus welchem uns die Dresdener Damen anriefen, die wir in St. Gilgen und Ischl zu treffen die Freude gehabt hatten.
Wir schieden von ihnen und folgten dem, das Gepäck fahrenden Hausknecht nach dem Bahnhof. Punkt sieben Uhr setzte sich der Zug in Bewegung und rasete durch die in der Dunkelheit liegenden Gegenden. Eine Nachtfahrt mit dem Dampfwagen gewährt nun freilich wenig Erheiterndes. Trotz des Lärmens, des Anrufens auf den Stationen, bemächtigte sich gegen Mitternacht dennoch der Schlaf aller Insassen. In Brünn wurden halb ein Uhr die Wagen gewechselt. Greller Fackelschein beleuchtete die schlaftrunkenen Passagiere. Nach kurzem Aufenthalt ging es weiter. Der Schlaf stellte sich auf’s Neue ein. Als nach vier Uhr der Tag grauete, waren wir bereits im Königreiche Böhmen. Der Morgenhimmel glühte im schönsten Roth, aber schon gegen 7 Uhr 188 begann der Regen, der uns den Anblick des Landes verkümmerte. Gegen 10 Uhr fuhren wir in den prächtigen Bahnhof von Prag ein und gegen 11 Uhr wieder hinaus. Der Regen dauerte auch in dem Elbthale fort. In Bodenbach war die Gepäckschau bald abgethan, und wir nahmen in den sächsischen Wagen Platz.
Rasch ging es weiter durch die im Regenkleide verhüllten Sandsteinfelsen der sächsischen Schweiz. Halb 6 Uhr fuhren wir in den Bahnhof und dann in einer Droschke durch die stillen Straßen Dresdens nach unserem Hause, wo wir Alles in bestem Wohlseyn antrafen.
Druck von E. H. R. Roempler in Dresden.
Fußnoten
[1] Es ist dies eine Bauart, die auch in Mähren, so wie in Salzburg vorkommt. S. Kohl, Reisen in Rußland u. Polen III. 348, wo die Lauben ebenfalls erscheinen.
[2] Ziegelbauer, historia literaria ordinis S. Benedicti I. A. Fabricii bibliotheca mediae & inf. Latinitatis III. 230. Neue Beiträge zu alten und neuen theol. Sachen. 1751. S. 667, Jäck in Ersch und Gruber’s Encyklopädie. Museum Mazzucchelli S. 227.
Anmerkungen zur Transkription
Das Original dieses Buches wurde in Frakturschrift gesetzt. Die Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originaltexts wurden beibehalten; jedoch sind unterschiedlich geschriebene Wörter vereinheitlicht worden, sofern nicht unklar war, ob dies der Absicht des Autors entsprach.
Die folgenden offensichtlichen Druckfehler wurden berichtigt:
Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter gestaltet und in die Public Domain eingebracht.